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Adhärenz – was Sie wissen sollten

Die amerikanische Psychologin Pamela Kato bezeichnete mangelnde Adhärenz in der Publikation ihrer Adhärenzstudie als „das bestdokumentierte, aber am wenigsten verstandene gesundheitsbezogene Verhalten“ [1]. In unserem Buch beleuchten wir Non-Adadhärenz aus der Perspektive der Entscheidungsforschung. Wenn ein Patient das vom Arzt verschriebene Arzneimittel nicht oder nicht konsequent einnimmt, geht diesem Verhalten immer die Entscheidung voraus, genau das zu tun. Aus dieser Perspektive heraus bieten die Wissenschaften, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Menschen Entscheidungen treffen, einen plausiblen Erklärungsansatz.
Mit diesem Verständnis haben wir neue und effektivere Konzepte und Ansätze entwickelt, die Ärztinnen und Ärzten dabei unterstützen, non-adhärente Patienten leichter zu erkennen, ihr Verhalten besser zu verstehen und ihnen zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen.
Unser Buch erscheint Mitte des Jahres. Wenn wir Sie informieren sollen, wenn das Buch verfügbar ist, schicken Sie uns gerne eine Mail.
Inhalte dieser Seite
Daten und Fakten zum Thema Adhärenz
Formen der Non-Adhärenz (intentional / nichtintentional / offen / verdeckt).
Daten und Fakten zum Thema Adhärenz
Der Begriff „Adhärenz“ (engl. »Adherence«) leitet sich aus dem lateinischen Wort „adherere“ ab, was so viel wie „festhalten, kleben“ bedeutet. Fragt man Ärztinnen und Ärzte, was sie unter Adhärenz verstehen, fallen häufig die Begriffe „Compliance“ oder „Therapietreue“. Tatsächlich hat der Begriff „Adhärenz“ den lange gebräuchlichen Begriff „Compliance“ abgelöst, der dafür steht, dass der Patient die vom Arzt angeordneten Maßnahmen befolgt.
Die Kernidee der Adhärenz ist, dass Arzt und Patient gemeinsam Therapieziele festlegen und der Patient damit aktiv in die Therapieentscheidung einbezogen wird.
Der erwartete Effekt ist, dass der Patient die Therapiemaßnahmen konsequenter umsetzt.
Die Realität sieht anders aus. In einem Beitrag auf www.gelbe-liste.de ist zu lesen, dass „bis zu 50%“ der Arzneimittel nicht oder nicht korrekt eingenommen werden [2]. Der Autor gibt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände als Quelle an. Das entspricht den Aussagen der WHO. Laut WHO kann man bei nur etwa der Hälfte der Patienten von einer guten Adhärenz sprechen [3].
Adhärenz:
Adhärenz ist das Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person Medikamente einzunehmen, eine Diät einzuhalten und/oder Änderungen des Lebensstils durchzuführen mit den vom Patienten akzeptierten Empfehlungen des Gesundheitsdienstleisters übereinstimmt (Definition der WHO).
Compliance:
Während im Zusammenhang mit Adhärenz die gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient betont wird, meint „Compliance“ eher die vom Patienten geforderte und erwartete Befolgung der ärztlichen Anordnungen. Zumindest in der Fachliteratur hat der Begriff „Adhärenz“ den Begriff „Compliance“ inzwischen ersetzt.
Persistenz:
Der Begriff „Persistenz“ hat, wie „Adhärenz“ auch seine Ursprünge in der lateinischen Sprache: „persistere“ bedeutet „andauern“ oder „fortbestehen“. Insofern steht „Persistenz“ für die Einhaltung der Therapie über den gesamten Therapiezeitraum. Insofern kann man Persistenz auch als dritte Phase der Adhärenz – nach Initiierung und Implementierung – bezeichnen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein wesentlicher Aspekt ist sicherlich die ausgeprägte Skepsis in der Bevölkerung gegenüber Arzneimitteln. Weltweit versuchen nur in Frankreich mehr Menschen grundsätzlich Medikamente zu vermeiden als z. B. in Deutschland [4].
Sicherlich ändert sich die Einstellung gegenüber Arzneimitteln bei manchem, wenn ein Befragter zu einem Patienten mit einer ernsthaften Erkrankung wird. Dennoch spiegelt sich diese Skepsis auch in den Adhärenz-Studien wider.
Für Herzinfarktpatienten konnte z. B. gezeigt werden, dass innerhalb von bis zu vier Monaten nach dem Infarkt nur etwa zwei Drittel bis drei Viertel der Patienten ihr Rezept einlösen, mit rückläufiger Tendenz im weiteren Zeitverlauf [5]. Ähnliche Beobachtungen gibt es bei der Herzinsuffizienz. Unter Patienten, die zumindest zwei Rezepte nach der Erstverschreibung eingelöst haben, sind nach einem Jahr nur noch zwei Drittel adhärent, nach zwei Jahren nur noch ein Drittel [6].
Je nachdem, welche Studie man zitiert, findet man sehr unterschiedliche Angaben über das Ausmaß der Non-Adhärenz. Weit weg von den 50%, von denen die WHO ausgeht, ist z. B. das Ergebnis einer Meta-Analyse, in die 569 Studien einbezogen wurden. Sie zeigte eine durchschnittliche Non-Adhärenz-Rate von 25 % [7].
Die Ursache dafür liegt darin, dass es keine allgemeingültigen oder einheitlichen Kriterien gibt, die definieren, ob ein Patient sich adhärent verhält oder nicht. Um das näher zu erläutern, will ich zwei Studien skizzieren, die die Adhärenz von Glaukompatienten untersucht haben. Ein Glaukom führt zu einem erhöhten Augeninnendruck. Dadurch wird der Sehnerv geschädigt, was zur Einschränkung des Gesichtsfeldes führt und letztendlich die Erblindung des Patienten zur Folge haben kann. Das primäre Ziel der medikamentösen Therapie ist daher die Senkung des Augeninnendrucks.
Im Rahmen der ersten Studie von Gurwitz et. al. wurden 2440 Patienten (65 Jahre und älter) befragt, bei denen erstmals ein Glaukom diagnostiziert wurde und denen Augentropfen verschrieben wurden. Als nicht adhärent wurden die Patienten eingestuft, die innerhalb von 12 Monaten nach Therapiebeginn kein zweites Rezept eingelöst haben [8]. Die Studie zeigte, dass die meisten Patienten anfangs ihre Augentropfen regelmäßig genommen haben, aber nach und nach immer unregelmäßiger – bis hin zum Absetzen. Viele Patienten nahmen ihre Augentropfen jeweils nur kurz vor einem Arzttermin.
Das Kriterium für Non-Adhärenz in der zweiten Studie war, wenn mehr als 5 % der Augentropfen nicht eingenommen wurden. Die Non-Adhärenz-Quote in dieser Studie lag bei 30,3 %. Diese Studie zeigte z. B. dass das Alter der Patienten, der soziale Status, die Schwere der Erkrankung und Angst vor Erblindung keinen Einfluss auf die Adhärenz hatte – wohl aber Nebenwirkungen und die Angst vor Nebenwirkungen [9].
Formen der Non-Adhärenz (intentional / nichtintentional / offen / verdeckt).
Wenn ein Patient ein vom Arzt verschriebenes Arzneimittel nicht einnimmt, kann das eine bewusste Entscheidung oder es kann bestimmten Umständen geschuldet sein. Insofern unterscheidet man zwischen intentionaler und nichtintentionaler Non-Adhärenz.
Die nichtintentionale Non-Adhärenz hat meistens organisatorische (z. B. Vergesslichkeit) oder Convenience-Ursachen (schwieriges Handling des Arzneimittels). In solchen Fällen können Ärzte oder das medizinische Hilfspersonal häufig praktikable Lösungen anbieten. Dies setzt jedoch voraus, dass der Patient über die Hindernisse redet, die ihn von der Einnahme des Arzneimittels abhalten.
Häufig tut der Patient genau das nicht, auch wenn der Arzt ihn gezielt auf mögliche Probleme mit der Einnahme anspricht (was in der Sprechstunde häufig vergessen oder mit zu geringem Nachdruck passiert).
Das heißt, neben der Differenzierung zwischen intentional und nicht intentional sollte man auch zwischen offener und verdeckter Non-Adhärenz unterscheiden.
Leider gibt es in den meisten Studien keine entsprechende Differenzierung. Wir vermuten aber, dass die verdeckten Non-Adhärenz-Verhaltensweisen im Alltag von Ärztinnen und Ärzten am häufigsten sind.

Wie effektiv sind die etablierten Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz? Ergebnisse einer Metaanalyse
So vielschichtig wie die Ursachen, so zahlreich sind auch die Ansätze zur Verbesserung der Adhärenz. Denn das Problem hat erhebliche Dimensionen. Non-Adhärenz führt nicht nur zu vermehrten Komplikationen und zu einer erhöhten Mortalität [10], sondern ist auch ein erheblicher Kostenfaktor [11]. Im Jahr 2013 hat die Ärzte Zeitung mangelnde Adhärenz in einem redaktionellen Beitrag als Milliardengrab bezeichnet. Das Einsparpotenzial bei den direkten Gesundheitsausgaben wurde darin auf 19 Milliarden Euro geschätzt; die indirekten Kosten (Produktivitätsverluste etc.) dürften mehr als doppelt so hoch sein.
Die folgenden Informationen basieren ausschließlich auf der Übersichtsarbeit
Definitions, variants, and causes of nonadherence with medication: a challenge for tailored interventions
der Pharmakologin Jacqueline Hugtenburg, der Medizinerinnen Petra Elders und Lonneke Timmers, der Adhärenzexpertin Marcia Vervloet und der Soziolin Liset van Dijk [12]. Sie finden die Publikation auf PubMed. Die Kernaussagen der Publikation sind repräsentativ für die meisten anderen Metaanalysen.
Eine Grundsätzliche Kritik an den Studien zur Adhärenz besteht darin, dass in die Auswertungen auch Patienten mit einbezogen werden, die sich grundsätzlich adhärent verhalten, was die Aussagen zur Effizienz einzelner Maßnahmen einschränkt.
Die wichtigsten Kernaussagen der Publikation sind:
- … Mehrere Übersichten, die die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung der Therapietreue zusammenfassen, haben jedoch gezeigt, dass nur die Hälfte der Maßnahmen mit einer signifikanten Steigerung der Therapietreue verbunden war, und noch weniger berichteten über eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse.
- Selbst die wirksamsten Maßnahmen hatten nur bescheidene Auswirkungen, so dass trotz vieler Bemühungen kaum Fortschritte bei der Bekämpfung des Problems der Therapietreue erzielt wurden.
- Es scheint, dass es nicht nur eine Lösung für das Problem der Non-Adhärenz gibt, die alle Patienten betrifft, und dass ein maßgeschneiderter Ansatz erforderlich ist, der auf der Art und den Ursachen der Non-Adhärenz basiert.
Der eher bescheidene Erfolg von Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz mag auch darauf zurückzuführen sein, dass sie nur bei der nichtintentionalen Adhärenz greifen, und in der Praxis werden sie in der Regel nur dann aktiviert, wenn der Patient offen über die Hürden, die ihn an der Einnahme des Arzneimittels hindern redet.
Weitaus häufiger dürfte jedoch die intentionale Non-Adhärenz sein. Wenn ein Patient eine große Skepsis gegenüber Arzneimitteln und gar nicht die Absicht hat, das vom Arzt verschriebene Arzneimittel konsequent einzunehmen, helfen die im folgenden beschriebenen Maßnahmen kaum weiter.
Die Ansätze zur Verbesserung der Adhärenz, die ich auf dieser Seite vorstelle wurden aus der Perspektive entwickelt, die Non-Adhärenz als Patientenentscheidung betrachtet. Der Fokus liegt darauf, dass die Patienten ihre Entscheidungen im Umgang mit Arzneimitteln reflektieren und bei Bedenken ihren Arzt ansprechen, statt das Arzneimittel eigenmächtig abzusetzen.
Quellen:
[1] Kato, P. M., Cole, S. W., Bradlyn, A. S., & Pollock, B. H. (2008). A video game improves behavioral outcomes in adolescents and young adults with cancer: a randomized trial. Pediatrics, 122(2), e305-317. doi:10.1542/peds.2007-3134
[2] https://www.gelbe-liste.de/nachrichten/medikamente-falsche-einnahme-patienten#:~:text=Die%20k%C3%B6nnten%20Sie%20darauf%20hinweisen,abgegebenen%20Arzneimittel%20nicht%20korrekt%20eingenommen.
[3] Sabaté, E. (hrsg.): WHO Adherence to Long Term Therapies. Evidence for action, Global Adherence Interdisciplinary Network., & World Health Organization. Dept. of Management of Noncommunicable Diseases. (2003). Adherence to long-term therapies : evidence for action. Geneva: World Health Organization.
[5] Jackevicius CA et al.: Prevalence, predictors, and outcomes of primary nonadherence after acute myocardial infarction. Circulation 2008; 117(8): 1028-36
[6] Rasmussen AA et al.: Patient-reported outcomes and medication adherence in patients with heart failure. Eur Heart J Cardiovasc Pharmacother 2021; 7(4): 287-95
[7] van Dulmen S, Sluijs E, van Dijk L, de Ridder D, Heerdink R, Bensing J. Patient adherence to medical treatment: a review of reviews. BMC Health Serv Res. 2007 Apr 17;7:55. doi: 10.1186/1472-6963-7-55. PMID: 17439645; PMCID: PMC1955829.
[8] Gurwitz JH, Glynn RJ, Monane M, Everitt DE, Gilden D, Smith N, Avorn J. Treatment for glaucoma: adherence by the elderly. Am J Public Health. 1993 May;83(5):711-6. doi: 10.2105/ajph.83.5.711. PMID: 8484454; PMCID: PMC1694682.
[9] Wolfram C, Stahlberg E, Pfeiffer N. Pa[ent-Reported Nonadherence with Glaucoma Therapy. J Ocul Pharmacol Ther. 2019 May;35(4):223-228. doi: 10.1089/jop.2018.0134. Epub 2019 Mar 21. PMID: 30897019; PMCID: PMC6533777.
[10] Laufs U, Böhm M, Kroemer HK, Schüssel K, Griese N, Schulz M. Strategien zur Verbesserung der Einnahmetreue von Medikamenten. Dtsch Med Wochenschr 2011; 136: 1616-1621
[11] https://www.aerztezeitung.de/Politik/Das-Milliardengrab-271005.html
[12] Hugtenburg JG, Timmers L, Elders PJ, Vervloet M, van Dijk L. Definitions, variants, and causes of nonadherence with medication: a challenge for tailored interventions. Patient Prefer Adherence. 2013 Jul 10;7:675-82. doi: 10.2147/PPA.S29549. PMID: 23874088; PMCID: PMC3711878.
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Initiative DIE GUTE PATIENTENENTSCHEIDUNG
Starke Impulse für mehr Adhärenz
Peter Jungblut
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