Frank N. und unsere Denkfallen

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Name und Bild geändert.
Dieses Poster haben wir für Patientinnen und Patienten entwickelt, die …
- routinemäßig und unbewusst Denkmuster anwenden, die sie in medizinischen Entscheidungen beeinträchtigen,
- sich auf intuitive „Faustregeln“ verlassen – etwa „Wenn mir’s gut geht, reicht das“ oder „Das ist immer so gewesen“ –, ohne die Faktenlage oder Risiken bewusst zu hinterfragen,
- komplexe Informationen stark vereinfachen und dadurch Gefahr laufen, relevante Aspekte zu übersehen.
Das Poster spricht Menschen an, die Entscheidungen oft auf der Basis von Gewohnheit, Gefühl oder Alltagserfahrung treffen – und öffnet ihnen die Augen für Denkfehler, die sie bisher vielleicht gar nicht bemerkt haben. Es ist ein Impuls, bewusster zu denken – und dadurch besser zu entscheiden.

Der Impuls steht Kliniken, Arztpraxen und Apotheken in verschiedenen Formaten zur Verfügung:
- als Gesprächskarte für die direkte Kommunikation mit Patient:innen,
- als Poster, das im Raum wirkt und Patient:innen still zum Nachdenken anregt,
- in digitaler Form für Bildschirme,
- als Flyer, der dem Rezept beigelegt oder beim Einlösen in der Apotheke mitgegeben werden kann.
Alle Materialien werden individuell auf Ihre Klinik, Praxis oder Apotheke abgestimmt – und tragen so Ihre Handschrift.
Wie Sie unsere Motive gezielt zur Förderung von Adhärenz einsetzen können?
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Der Text unter dem Poster:
„Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“
Das sagte Thomas Watson, Chef von IBM, im Jahr 1943. Heute tragen Milliarden Menschen Hochleistungsrechner in der Hosentasche.
So falsch diese Einschätzung war – sie ist kein Einzelfall. Viele kluge Menschen haben sich schon geirrt, weil sie auf eine Denkfalle hereingefallen sind: unbewusste Muster, die unsere Wahrnehmung verzerren. Auch in Gesundheitsfragen passieren solche Fehleinschätzungen – ganz ohne böse Absicht.
Typische Gedanken sind: „Mir geht’s doch gut, ich brauche das Medikament nicht mehr“, oder: „Bei mir ist das sicher nicht so schlimm wie bei anderen.“
Diese inneren Überzeugungen wirken oft überzeugend – und sind doch trügerisch. Sie können dazu führen, dass wir Behandlungen abbrechen, Risiken unterschätzen oder ärztliche Ratschläge falsch einordnen.Deshalb lohnt es sich, die eigenen Denkfallen zu kennen. Wer sich ihrer bewusst ist, kann klarer entscheiden – und klüger handeln.
Frank hat mich kontaktiert, ich habe mich mit ihm getroffen.
Franks‘ „Geschichte“
Frank ist 48 Jahre alt und hat vor eineinhalb Jahren eine neue Niere bekommen. Seit der Transplantation ist alles gut gelaufen. Die Blutwerte waren stabil, bei den Kontrollterminen hat sein Arzt ihn immer gelobt: „Sie machen das wirklich vorbildlich!“ – und tatsächlich: Frank N. hat seine Medikamente pünktlich genommen, war zu jedem Termin da und hat sich an alle Empfehlungen gehalten.
Irgendwann aber dachte er:
„Wenn mein Arzt sagt, ich bin ein Musterpatient, dann ist meine Niere bestimmt schon richtig gut eingewachsen. Vielleicht braucht mein Körper die Medikamente gar nicht mehr so dringend.“
Weil er sich körperlich gesund fühlte und keine Beschwerden hatte, entschied Frank – ohne mit seinem Arzt zu sprechen –, die Medikamente abzusetzen. Er wollte „mal schauen, ob es ohne auch geht“. Schließlich sei alles bisher gut gewesen.
Etwa vier Wochen später fühlte er sich müde und abgeschlagen. Bei der nächsten Blutkontrolle zeigte sich: Die neuen Nierenwerte waren schlecht, und in seinem Blut war kein Medikament mehr nachweisbar. Die Ärzte mussten schnell handeln – aber leider war es zu spät: Die neue Niere wurde vom Körper abgestoßen. Frank musste wieder an die Dialyse.
Wenn gute Erfahrungen zu schlechten Entscheidungen führen – typische Denkfehler (kognitive Verzerrungen) nach Transplantation
Wir alle möchten gute Entscheidungen treffen – über unsere Gesundheit, im Beruf oder im Alltag. Doch unser Gehirn arbeitet nicht immer logisch. Es nutzt Abkürzungen, sogenannte Heuristiken, um komplexe Situationen schnell zu bewerten. Das ist meist hilfreich – kann aber auch in die Irre führen. Kognitive Verzerrungen sind systematische Denkfehler, die unsere Wahrnehmung, Erinnerung und Urteilsfähigkeit unbewusst beeinflussen. Sie lassen uns Risiken falsch einschätzen, Zusammenhänge sehen, wo keine sind, oder aus Wunschdenken heraus handeln. Besonders in medizinischen Fragen, wo viel auf dem Spiel steht, können solche Denkfehler schwerwiegende Folgen haben.
Frank fühlte sich gesund, seine Blutwerte waren stabil, der Arzt lobte ihn regelmäßig: „Sie machen das vorbildlich!“ – doch genau diese positiven Rückmeldungen führten ihn in die Irre. Frank setzte eigenmächtig seine Medikamente ab – mit fatalen Folgen.
Gleich mehrere Urteilsfehler beeinflussten seine Entscheidung:
- Halo-Effekt: Das Lob des Arztes („Musterpatient“) überstrahlte Franks Urteilsvermögen. Er glaubte, er könne die Therapie selbstständig beurteilen – und unterschätzte die Risiken.
- Kontrollillusion: Frank dachte, sein Gesundheitszustand sei sein eigener Verdienst – und er habe die Kontrolle über den Therapieerfolg.
- Scheinkausalität: Weil es ihm gut ging, vermutete er, die Medikamente seien vielleicht nicht mehr nötig – dabei war sein Zustand gerade deren Verdienst.
- Wunschdenken: Der Wunsch, ohne Medikamente auszukommen, beeinflusste seine Bewertung der Lage – unbewusst in seinem Sinn verzerrt.
- Symptomfreiheit als Sicherheit: Frank verwechselte Beschwerdefreiheit mit Heilung – und glaubte, keine Medikamente mehr zu brauchen.
Sein Fall zeigt: Auch wer alles richtig macht, ist vor Denkfehlern nicht gefeit. Gerade langfristige Therapien brauchen nicht nur Disziplin – sondern auch realistische Risikowahrnehmung.
Der Halo-Effekt – wenn ein gutes Bild falsche Schlüsse erlaubt
Ein Denkfehler, der bei Franks Entscheidung eine besondere Rolle gespielt hat, ist der sogenannte Halo-Effekt. Er beschreibt eine kognitive Verzerrung, bei der ein besonders positiver Eindruck in einem Bereich unser gesamtes Urteil beeinflusst – oft, ohne dass wir es merken. Im Fall von Frank zeigt sich das sehr deutlich: Er wurde vom Arzt mehrfach gelobt – als „Musterpatient“, weil er zuverlässig war, seine Medikamente regelmäßig nahm und gute Blutwerte hatte. Dieses positive Feedback prägte sein Selbstbild stark.
Statt es als Bestätigung seines bisherigen Verhaltens zu verstehen, begann Frank, aus dem Lob weitreichendere Schlüsse zu ziehen: „Wenn ich so vorbildlich bin und alles gut läuft, dann kann ich vielleicht auch selbst entscheiden, wie lange ich die Medikamente nehme.“
Genau hier wirkt der Halo-Effekt: Der gute Gesamteindruck („Ich mache alles richtig“) überstrahlt die Grenzen seiner eigenen medizinischen Kompetenz. Frank überschätzte seine Fähigkeit, den Therapiebedarf einzuschätzen – eine Entscheidung, die sonst auf ärztlichem Wissen und Erfahrung beruht.
In der Folge blendete er Risiken aus, vertraute seiner Einschätzung mehr als der ärztlichen Empfehlung und traf eine folgenschwere Entscheidung – auf Basis eines verzerrten Selbstbildes, nicht auf Grundlage von Fakten.

Die Karte ist Teil des Kartensatzes „Entscheidungsprinzipien und Denkfallen, die Sie kennen sollten“. Sie finden den Kartensatz in unserem Online Shop.
Meine Empfehlungen an Frank:
1. Achten Sie auf Ihre Gedanken, nicht nur auf Ihre Werte
Fragen Sie sich bei wichtigen Entscheidungen:
„Warum denke ich das – und woher habe ich diese Einschätzung?“
Ein gutes Gefühl („mir geht’s ja gut“) ist kein objektiver Maßstab. Halten Sie inne, wenn Sie merken, dass Wunschdenken oder Annahmen ohne Fakten Ihre Überlegungen bestimmen.
2. Verwechseln Sie Lob nicht mit Unabhängigkeit
Wenn Sie Lob bekommen, freuen Sie sich – aber bleiben Sie realistisch:
„Ich mache es gut – aber ich bin kein Arzt.“
Ein guter Gesundheitszustand bedeutet nicht, dass man auf ärztliche Begleitung verzichten kann. Therapietreue ist ein Teil der Zusammenarbeit, nicht das Ende davon.
3. Holen Sie sich eine zweite Meinung – in Ihrem Kopf
Stellen Sie sich vor, ein Freund würde das tun, was Sie überlegen:
Würden Sie ihm dazu raten?
Dieser kleine Perspektivwechsel kann helfen, emotionale Verzerrungen zu durchschauen und klarer zu denken.
4. Keine Therapieänderung ohne Rücksprache
Grundsatz: Nie eigenmächtig absetzen, reduzieren oder pausieren.
Auch wenn Sie sich gesund fühlen oder glauben, die Medikamente seien nicht mehr nötig – sprechen Sie zuerst mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin. Manche Therapien wirken nur, solange sie regelmäßig eingenommen werden – das gilt besonders nach einer Transplantation.
Der Patientenratgeber „Bei Risiken und Nebenwirkungen? Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen“ zeigt anhand von 15 eindrücklichen Fällen, wie medizinische Entscheidungen schiefgehen können – und was man daraus lernen kann. Anhand echter Geschichten, verständlich erklärt und sorgfältig analysiert, erfahren Patientinnen und Patienten, wie sie typische Denkfehler vermeiden, ihre Entscheidungskompetenz stärken und zu besseren, selbstbestimmten Entscheidungen finden können.
Ein Buch, das Mut macht – durch Wissen, Reflexion und die Erfahrungen anderer.
Und nicht nur bei medizinischen Fragen: Die Tipps und Einsichten helfen auch im beruflichen und privaten Alltag, bessere Entscheidungen zu treffen – klarer, überlegter und selbstsicherer.
