4 Denkanstöße für das Treffen einer guten Entscheidung.

Hermanns komplette Geschichte und die ausführliche Analyse einer Entscheidung lesen Sie hier:

Die 4 Denkanstöße, die man beim Treffen einer Entscheidung berücksichtigen sollte, sind das Ergebnis zahlreicher Interviews mit Patientinnen und Patienten. Alle haben eines gemeinsam: Sie haben eine Entscheidung im Zusammenhang mit ihrer Therapie getroffen, die sie hinterher bereut haben. Wir wollen den Hintergrund der Denkanstöße an einem konkreten Beispiel festmachen. Der Patient, Hermann, hat sich mit Peter Jungblut in Verbindung gesetzt, nachdem er dieses Poster in der Klinik gesehen hat, in die er wegen eines Schlaganfalls eingeliefert wurde. Peter Jungblut hat sich mit Hermann getroffen.

Hermann erkrankte vor 5 Jahren an Diabetes. Vor knapp zwei Jahren kam ein Herzproblem hinzu. Er bemerkte, dass sein Herz zeitweise immer mal schneller und unregelmäßig schlug, obwohl er dafür keine Ursache erkennen konnte. Sein Arzt meinte, dass sein „natürlicher Herzschrittmacher“ manchmal aus dem Takt komme. Das sei nicht weiter schlimm, hätte aber zur Folge, dass sich sein Schlaganfallrisiko erhöhe. Deshalb verschrieb er ihm ein Medikament, das ihn vor einem Schlaganfall schützen sollte.

Hermann hat das Medikament fast zwei Jahre lang genommen und irgendwann ohne Rücksprache mit dem Arzt wieder abgesetzt. Kurz danach erlitt er einen Schlaganfall. Bei seinem Treffen mit Peter Jungblut erzählte er folgende „Geschichte“:


Ich nehme nicht gerne Arzneimittel. Deshalb habe ich versucht, meinen Diabetes mellitus durch eine gesündere Ernährung und Sport in den Griff zu bekommen. Aber ich  musste einsehen, dass ich die Umstellung meines Lebensstils nicht konsequent durchhalten konnte und habe zähneknirschend das Medikament genommen, das der Arzt mir verschrieben hat. Sie können sich vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich dann auch noch ein Arzneimittel gegen einen Schlaganfall nehmen sollte. Aber mein Vater hatte einen Schlaganfall. Ein solches Desaster wollte ich mir unbedingt ersparen – auch wenn mich der Beipackzettel des Arzneimittels nicht gerade begeistert hat. 


Mit der Zeit geriet mein natürlicher Herzschrittmacher immer seltener aus dem Takt. Trotzdem habe ich das Medikament weiter genommen. Allerdings habe ich öfter mal vergessen, es einzunehmen. Kürzlich war ich im Urlaub und habe das Medikament zuhause liegen lassen. Nach dem Urlaub habe ich es dann ganz weggelassen. Das war wohl ein großer Fehler. 

Wir geben zu Bedenken:

1. Die Entscheidung, ein Arzneimittel einzunehmen oder nicht, ist eine „gemischte Entscheidung“.


Gemischte Entscheidungen sind Entscheidungen, die aus der Perspektive der Entscheider richtig oder falsch sein können, weil die Konsequenz sowohl ein Gewinn als auch ein Verlust sein kann. Typisch für jede Entscheidung – egal ob gemischt oder nicht – ist, dass man nie sicher sein kann, dass sich der erwartete Effekt auch tatsächlich einstellt.

Die meisten unserer Entscheidungen sind gemischte Entscheidungen. Die Tabelle zeigt einige typische Beispiele. Menschen, die Arzneimitteln gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt sind, empfinden auch die Entscheidung, ob sie ein Arzneimittel einnehmen sollen oder nicht als gemischte Entscheidung. Ohne das Hermann es selbst so sagen würde: Er hat die möglichen Wirkungen des Arzneimittels als Gewinn, die möglichen Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen als Verlust verstanden.

Mit seiner kritischen Grundeinstellung ist Hermann übrigens nicht alleine. Mehr dazu ->

2. Wir schätzen Chancen und Risiken nicht objektiv ein.

Der amerikanische Psychologe Paul Slovic gilt als einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Risikowahrnehmung. Seine Forschung zeigt, dass wir Risiken nicht objektiv einschätzen, sondern dass unsere Einschätzung von Emotionen beeinflusst wird [1]. Jedes Arzneimittel kann Nebenwirkungen haben. Die möglichen Nebenwirkungen und die Wahrscheinlichkeit, mit der sie auftreten können, sind im Beipackzettel dokumentiert. Unsere Gespräche mit Patienten haben immer wieder gezeigt: Je negativer die Grundeinstellung eines Patienten Arzneimitteln gegenüber ist, umso größer schätzt er die Risiken des Arzneimittels ein und umso geringer erscheint ihm das Risiko, das Arzneimittel nicht einzunehmen.

3. Wir suchen nach Informationen, die unsere
Grundeinstellung bestätigen.

Stellen Sie sich zwei Gruppen von Menschen vor. Die Mitglieder von Gruppe 1 sind davon überzeugt, dass die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung hat. Die Mitglieder der Gruppe 2 glauben das Gegenteil. Nun bitten Sie jedes Mitglied beider Gruppen zwei Dokumentationen zu lesen. Die eine „beweist“, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat, die andere „beweist“ das Gegenteil. Anschließend befragen Sie die Teilnehmer Ihres kleinen Experimentes, wie sich die Lektüre der beiden Dokumentationen auf ihre Meinung ausgewirkt hat. Was, glauben Sie, kommt dabei heraus?

Ein solches Experiment wurde tatsächlich in Form einer wissenschaftlichen Studie durchgeführt [2]. Diese Studie und eine Vielzahl ähnlicher Studien untersuchen, wie wir mit Informationen umgehen. Es kommt immer wieder das Gleiche dabei heraus: Die meisten Studienteilnehmer bleiben bei ihrer Meinung. Mehr noch, die Lektüre der beiden gegensätzlichen Dokumentationen festigt ihre bisherige Meinung sogar. Die Dokumentation, die die jeweils andere Grundeinstellung vertritt, wird als methodisch unsauber und qualitativ schlecht bezeichnet — die Dokumentation, die die eigene Auffassung bestätigt, wird gelobt. Die Entscheidungsforschung nennt dieses Phänomen „Selbstbestätigungsfalle“ (Confirmation Bias).

Am Anfang der Therapie hat Hermann nach Informationen gesucht, die dafür sprachen, das Arzneimittel einzunehmen. In den Wochen, bevor er das Arzneimittel absetzte, hat er mehr und mehr nach Informationen gesucht, die ihn in seiner Vorentscheidung bestätigten.

4. Wir vertrauen unserem Bauchgefühl bei den falschen Entscheidungen.

Hermann hatte für seine Entscheidung eine Vielzahl von Informationen zusammengetragen. Beim Treffen seiner Entscheidung, das Arzneimittel abzusetzen, tappte er jedoch in eine typische „Denkfalle“, denn er war der Überzeugung, dass er alle relevanten Informationen berücksichtigt. Viele Studien zeigen, dass wir dazu gar nicht in der Lage sind. Wir wollen es mit den Worten des amerikanischen Sozialwissenschaftlers und Nobelpreisträgers Herbert Alexander Simon ausdrücken und fassen seine Kernaussagen dazu wie folgt zusammen [3]:

Die Grenzen der Rationalität werden im Wesentlichen von zwei Faktoren definiert: Das Wissen ist begrenzt. Nicht alle Informationen sind verfügbar, weil entweder die Ressourcen fehlen, um sie zu beschaffen, weil sie einfach nicht zu beschaffen sind, weil sie schlicht nicht existieren oder weil wir nicht die Kompetenz haben, sie zu bewerten. Die kognitiven Fähigkeiten des Menschen haben Grenzen. Die Informationsmenge, die wir bei einer Entscheidung berücksichtigen können, ist begrenzt, und die Beurteilung dieser Informationen wird durch Emotionen, subjektive Wahrnehmungen und Weltanschauungen verzerrt.

Aus den gezeigten Gründen nutzen wir Abkürzungen beim Entscheiden. Eine dieser typischen Abkürzungen ist die Intuition. Wir vertrauen unserem Bauchgefühl. Die Entscheidung fühlt sich gut an, also ist sie richtig oder sie fühlt sich schlecht an, also ist sie falsch. Wir tappen dabei in die Denkfalle, dass wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen können. Tatsächlich ist es so, dass wir ohne Gefühl gar nicht in der Lage sind, eine Entscheidung zu treffen. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir uns grundsätzlich auf unser Bauchgefühl verlassen können. Ein erfahrener Arzt kann sich z. B. auf sein Bauchgefühl verlassen, wenn er eine Diagnose stellt, er kann sich aber nicht beim Kauf von Aktien darauf verlassen. Das heißt, es sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich. Eine davon ist Erfahrung in dem Segment, wo die Entscheidung zu treffen ist. Hermann konnte die für seine Entscheidung erforderliche Erfahrung gar nicht haben und somit auch kein verlässliches Gefühl dafür entwickeln, was richtig oder falsch ist. Sein Gefühl nährte sich aus dem, was er hörte oder las.


Quellen:

[1] Slovic, P., Finucane, M., Peters, E. MacGregor, D.: „Risk as analysis and risk as feelings: some thoughts about affect, reason, risk, and rationality“, Risk analysis: An official publication of the Society for Risk Analysis 

[2] Loyd, C. B., Spilker, B.: „The Influence of Client Preferences on Tax Professionals? Search for Judicial Precedents, Subsequent Judgments and Recommendations”, The Accounting Review

[3] Simon, H. A.: „Rational choice and the structure of environments“


Let’s Work Together


Initiative DIE GUTE PATIENTENENTSCHEIDUNG

Starke Impulse für mehr Adhärenz

Peter Jungblut
Stammestraße 14
30459 Hannover

+49 176 4674 9713