Karl M. und die kognitive Leichtigkeit

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Name und Bild geändert.
Dieses Poster haben wir für Patientinnen und Patienten entwickelt, die …
- Entscheidungen auf Basis von kognitiver Leichtigkeit treffen – also dann, wenn Informationen besonders vertraut, klar oder mühelos wirken, ohne aktiv zu hinterfragen,
- unkritisch zustimmen, weil die Darstellung prägnant ist, Wiederholung Vertrauen schafft oder sie sich dem Thema bereits vertraut fühlen,
- bei der Medikamenteneinnahme automatisch annehmen: „Wenn mir das bekannt vorkommt, wird’s schon passen“ – und dabei Risiken, Nebenwirkungen oder persönliche Relevanz übersehen.
Das Poster visualisiert diese Tendenz in einem einladend gestalteten Motiv, um darauf aufmerksam zu machen: Nur weil etwas leicht erscheint, ist es nicht unbedingt richtig – v.a. bei Medikamentenentscheidungen. Es regt dazu an, bewusst innezuhalten, Fragen zu stellen und zur reflektierten Nutzung von Gesundheitsinformationen.

Der Impuls steht Kliniken, Arztpraxen und Apotheken in verschiedenen Formaten zur Verfügung:
- als Gesprächskarte für die direkte Kommunikation mit Patient:innen,
- als Poster, das im Raum wirkt und Patient:innen still zum Nachdenken anregt,
- in digitaler Form für Bildschirme,
- als Flyer, der dem Rezept beigelegt oder beim Einlösen in der Apotheke mitgegeben werden kann.
Alle Materialien werden individuell auf Ihre Klinik, Praxis oder Apotheke abgestimmt – und tragen so Ihre Handschrift.
Wie Sie unsere Motive gezielt zur Förderung von Adhärenz einsetzen können?
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Der Text unter dem Poster:
Manche Informationen wirken einfach, klar und vertraut. Genau das macht sie so überzeugend – und so gefährlich. Denn unser Gehirn bevorzugt das, was leicht zu verarbeiten ist. Dieser Mechanismus nennt sich kognitive Leichtigkeit: Wir neigen dazu, vertrauten oder leicht verständlichen Aussagen zu glauben – selbst wenn sie falsch oder irreführend sind. Besonders dann, wenn sie in unser Weltbild passen.
Gerade bei Medikamenten kursieren viele scheinbar plausible Behauptungen – aus fragwürdigen Quellen und ohne wissenschaftliche Grundlage. Verlassen Sie sich nicht allein auf Ihr Bauchgefühl. Für Ihre Gesundheit zählen verlässliche Fakten – nicht der erste Eindruck.
Wenn Sie Zweifel an einem verordneten Arzneimittel haben, sprechen Sie uns bitte an. Wir nehmen Ihre Bedenken ernst – und klären gemeinsam, was für Sie wirklich wichtig ist.
Karl hat mich kontaktiert, ich habe mich mit ihm getroffen.
Karls „Geschichte“
Bei Karl B., 58 Jahre, wurde vor einem halben Jahr ein Typ‑2‑Diabetes diagnostiziert. Nach anfänglicher Lebensstilberatung wurde ihm aufgrund unzureichender Blutzuckerkontrolle der Wirkstoff Sitagliptin verordnet – einmal täglich als Tablette. Studien zeigten: das Medikament ist gut verträglich. Karl. nahm das Medikament zunächst regelmäßig ein.
Doch mit der Zeit begann er, sich intensiver mit seiner Erkrankung auseinanderzusetzen – vor allem im Internet. Er stieß auf Forenberichte von Betroffenen, die über Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Hautreaktionen oder Verdauungsprobleme klagten.
Er las zudem Beiträge selbsternannter „Experten“, die vor einer „stillen Gefahr durch moderne Antidiabetika“ warnten – in einfacher Sprache, emotional formuliert, mit angeblichen Belegen, die auf den ersten Blick schlüssig wirkten.
Auf meine Frage, warum er diesen Informationen mehr geglaubt hat, als seinem Arzt antwortete er: „Weil es einfach irgendwie gestimmt hat. Diese Berichte klangen ehrlich – nicht so steril und glatt wie das, was man vom Arzt hört oder auf Packungsbeilagen liest. Da haben echte Leute erzählt, was sie erlebt haben. Und wenn fünf Leute unabhängig schreiben, dass ihnen schlecht wurde oder die Leberwerte durch die Decke gingen – da wird schon was dran sein. Mein Arzt meint es sicher gut, aber er sieht das halt aus seiner Fachbrille. Ich wollte einfach auf mein Gefühl hören.“
Kognitive Leichtigkeit
Im Fall von Karl wird deutlich, wie sehr kognitive Leichtigkeit unsere Wahrnehmung und Entscheidungsfindung beeinflussen kann. Die beschriebenen Informationen fühlten sich für ihn deshalb so glaubwürdig an, weil sie besonders leicht zu verarbeiten waren. Genau das ist das Prinzip der kognitiven Leichtigkeit – ein psychologischer Mechanismus, bei dem unser Gehirn dazu neigt, Informationen eher zu glauben, wenn sie mühelos verstanden werden können. Emotionale Sprache, klare Aussagen, einfache Strukturen und Wiederholungen erzeugen ein Gefühl von Stimmigkeit. Dieses angenehme Gefühl beim Denken kann dazu führen, dass wir solche Inhalte für wahr halten – unabhängig von ihrer tatsächlichen Evidenz.
Im Gegensatz dazu standen die Informationen seines Arztes oder die offiziellen Angaben im Beipackzettel: nüchtern, komplex, in Fachsprache verfasst. Sie waren zwar objektiv verlässlicher, verlangten aber mehr kognitive Anstrengung. Und genau diese Anstrengung senkt das Gefühl von Sicherheit – was sie in Karls Augen weniger überzeugend machte.
Hinzu kam, dass viele der kritischen Aussagen, die Karl gelesen hatte, seine bereits bestehende Skepsis gegenüber Arzneimitteln bestätigten. Auch das verstärkte die Wirkung: Wenn Informationen zu unserem Weltbild passen, erscheinen sie uns noch glaubwürdiger – ein Effekt, der als Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) bekannt ist.

Die Karte ist Teil des Kartensatzes „Entscheidungsprinzipien und Denkfallen, die Sie kennen sollten“. Sie finden den Kartensatz in unserem Online Shop.
Meine Empfehlungen an Karl
Patienten wie Karl sind häufig im medizinischen Alltag: Sie sind grundsätzlich an ihrer Gesundheit interessiert, informieren sich eigenständig – und treffen dennoch Entscheidungen, die ihrer Therapie schaden. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil sie auf Informationen gestoßen sind, die sich glaubwürdig anfühlten, aber nicht verlässlich waren. Was kann man solchen Patienten raten?
1. Vertraue nicht nur dem Gefühl – sondern achte auf die Quelle
Informationen, die sich vertraut, einfach oder stimmig anfühlen, wirken oft glaubwürdig. Doch gerade in Gesundheitsfragen ist dieses Gefühl ein schlechter Ratgeber. Denn unser Gehirn bevorzugt Inhalte, die leicht zu verarbeiten sind – unabhängig davon, ob sie wahr sind. Deshalb ist es wichtig, auf die Herkunft der Information zu achten: Stammt sie von einer seriösen medizinischen Institution? Werden Autoren, Studien oder Quellen genannt? Oder handelt es sich um anonyme Erfahrungsberichte oder alarmierende Meinungen, die nur eins wollen – Aufmerksamkeit?
2. Sprich offen mit deinem Arzt oder deiner Ärztin oder deiner Apothekerin / Apotheker die Quelle
Zweifel und Unsicherheit gehören zu jeder Therapie dazu. Wichtig ist, damit nicht allein zu bleiben. Wer Medikamente absetzt, ohne Rücksprache zu halten, riskiert gesundheitliche Rückschritte – oft unnötig. Deshalb gilt: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin, wenn Sie Fragen, Sorgen oder Bedenken haben. Ein offenes Gespräch kann helfen, Missverständnisse zu klären und Alternativen zu finden, die besser zu Ihnen passen.
3. Hinterfrage Informationen aus dem Internet
Das Internet ist voller Gesundheitsinformationen – aber nicht alles, was dort steht, ist richtig. Foren, YouTube-Videos oder selbsternannte Gesundheitsexperten arbeiten oft mit Einzelfällen, Halbwissen oder Meinungen, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Wer sich informieren möchte, sollte geprüfte und neutrale Quellen nutzen. Frage Deinen Arzt oder Apotheker nach verlässlichen Informationsquellen.
4. Sei Dir Deiner Denkmuster bewusst
Wir alle neigen dazu, vor allem das zu glauben, was zu unserer bestehenden Meinung passt. Das ist ein natürlicher Denkmechanismus – aber bei medizinischen Entscheidungen kann er uns in die Irre führen. Kognitive Leichtigkeit, Bestätigungsfehler und emotionale Überzeugungskraft verleiten dazu, einfache Erklärungen über komplexe Zusammenhänge zu stellen. Wer sich dieser Denkmuster bewusst ist, kann besser einschätzen, ob er gerade aus Überzeugung handelt – oder aus einem Gefühl heraus.
Fazit: Orientierung statt Belehrung
Patienten wie Karl brauchen keine langen Belehrungen – sondern verständliche Orientierung und das Gefühl, ernst genommen zu werden. Gute Aufklärung bedeutet nicht, noch mehr Informationen bereitzustellen, sondern sie so zu vermitteln, dass sie zugänglich, glaubwürdig und dialogfähig sind. Die beste Antwort auf kognitive Leichtigkeit ist nicht Überforderung, sondern gute Kommunikation auf Augenhöhe
Der Patientenratgeber „Bei Risiken und Nebenwirkungen? Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen“ zeigt anhand von 15 eindrücklichen Fällen, wie medizinische Entscheidungen schiefgehen können – und was man daraus lernen kann. Anhand echter Geschichten, verständlich erklärt und sorgfältig analysiert, erfahren Patientinnen und Patienten, wie sie typische Denkfehler vermeiden, ihre Entscheidungskompetenz stärken und zu besseren, selbstbestimmten Entscheidungen finden können.
Ein Buch, das Mut macht – durch Wissen, Reflexion und die Erfahrungen anderer.
Und nicht nur bei medizinischen Fragen: Die Tipps und Einsichten helfen auch im beruflichen und privaten Alltag, bessere Entscheidungen zu treffen – klarer, überlegter und selbstsicherer.
