Bärbel und unsere Abkürzungen beim Entscheiden

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Name und Bild geändert.
Dieses Poster haben wir für Patientinnen und Patienten entwickelt, die …
- medizinische Entscheidungen nach dem Prinzip „Pi mal Daumen“ treffen – also mithilfe von Heuristiken, die im Alltag oft nützlich sind, aber bei Gesundheitsfragen in die Irre führen können,
- sich auf einfache Daumenregeln verlassen wie „Wenn’s mir gut geht, brauche ich nichts“ oder „Was neu ist, ist besser“,
- komplexe Informationen spontan vereinfachen, ohne sich der damit verbundenen Risiken oder Fehlschlüsse bewusst zu sein.
Das Motiv macht sichtbar, wie solche Denkabkürzungen entstehen – und lädt dazu ein, einen Moment innezuhalten, die eigene Entscheidungslogik zu hinterfragen und Raum für eine fundierte, reflektierte Entscheidung zu schaffen.

Der Impuls steht Kliniken, Arztpraxen und Apotheken in verschiedenen Formaten zur Verfügung:
- als Gesprächskarte für die direkte Kommunikation mit Patient:innen,
- als Poster, das im Raum wirkt und Patient:innen still zum Nachdenken anregt,
- in digitaler Form für Bildschirme,
- als Flyer, der dem Rezept beigelegt oder beim Einlösen in der Apotheke mitgegeben werden kann.
Alle Materialien werden individuell auf Ihre Klinik, Praxis oder Apotheke abgestimmt – und tragen so Ihre Handschrift.
Wie Sie unsere Motive gezielt zur Förderung von Adhärenz einsetzen können?
Klicken Sie auf den entsprechenden Link und erfahren Sie mehr.
Der Text unter dem Poster:
Wie Menschen Entscheidungen treffen, gehört zu den meisterforschten Fragen der Wissenschaft überhaupt. Ein Forschungsgebiet, das besonders relevant für unseren Entscheidungsalltag ist, sind die sogenannten Heuristiken. Der Begriff „Heuristik“ leitet sich aus dem altgriechischen Wort „heurísko“ (ich finde) ab.
Heuristiken sind Daumenregeln des Gehirns, eine geniale Erfindung der Evolution. Sie helfen uns mit wenigen Informationen und mit wenig Zeit Urteile zu bilden und Entscheidungen zu treffen. Ohne diese Abkürzungen beim Entscheiden wären wir nahezu unfähig, unseren Alltag zu bewältigen.
Wenn es um Ihre Gesundheit geht und um die Frage, in welchem Umfang oder wie konsequent Sie den mit Ihrem Arzt abgestimmten Therapieempfehlungen folgen, sollten Sie Abkürzungen beim Entscheiden möglichst vermeiden. Sprechen Sie Ihre Zweifel und Bedenken offen an. Ihr Arzt / Ihr Apotheker hat Verständnis dafür und hilft Ihnen, die zur Erreichung Ihrer gesundheitlichen Ziele richtigen Entscheidungen zu treffen.
Bärbel hat mich kontaktiert, ich habe mich mit ihm getroffen.
Bärbels „Geschichte“
Bärbel ist 52 Jahre alt. Nach einem kleinen Autounfall wurde in der Notaufnahme festgestellt, dass sie sich zwei Rippen gebrochen hatte – bei einem eigentlich harmlosen Stoß. Das machte die Ärzte stutzig. Eine Knochendichtemessung ergab: Osteoporose. Das bedeutet, dass ihre Knochen porös und bruchanfällig sind. Der Arzt empfahl ihr ein spezielles Medikament: Romosozumab. Es soll den Knochenaufbau anregen und helfen, weitere Brüche zu verhindern. Doch Bärbel lehnte ab.
Sie hatte sich intensiv im Internet informiert und dort viele kritische Stimmen gefunden. Außerdem traf sie zwei Frauen mit Osteoporose, die meinten, sie kämen gut ohne Medikamente klar – nur mit Kalzium, Vitamin D und regelmäßigem Messen der Knochendichte. Bärbel sagte: „Ich bin ein rationaler Mensch. Ich habe alles abgewogen und mich gegen das Medikament entschieden.“
Was Sie über das Abwägen wissen sollten
Auf den ersten Blick klingt das sehr vernünftig. Bärbel hat recherchiert, sich mit anderen ausgetauscht und sagt, sie habe das Für und Wider abgewogen. Doch genau hier wird es spannend – und für viele Menschen relevant:
Ein echtes Abwägen aller wichtigen Aspekte ist im Kopf kaum möglich.
Warum?
- Und weil unser Gehirn so arbeitet, dass es schnelle, einfache Entscheidungen bevorzugt – sogenannte Heuristiken (Abkürzungen beim Denken).
- Weil viele Informationen komplex, widersprüchlich oder schwer einzuordnen sind.
- Weil wir Emotionen, Geschichten und Bilder stärker bewerten als Statistiken.
Unsere Abkürzungen beim Entscheiden
Doch genau darin liegt das Problem: Weil dieses Abwägen oft zu komplex ist – mit vielen unsichtbaren, widersprüchlichen oder schwer einschätzbaren Faktoren – nutzt unser Gehirn Abkürzungen beim Entscheiden.
Diese mentalen Abkürzungen werden in der Psychologie Heuristiken genannt. Sie helfen uns, schnell zu einer Entscheidung zu kommen – aber sie können auch dazu führen, dass wir wichtige Aspekte unbewusst übersehen oder falsch gewichten.
Heuristiken sind unbewusste Entscheidungsregeln, mit denen wir versuchen, Komplexität zu bewältigen. Das tun wir alle – und meistens merken wir es gar nicht.

Die Karte ist Teil des Kartensatzes „Entscheidungsprinzipien und Denkfallen, die Sie kennen sollten“. Sie finden den Kartensatz in unserem Online Shop.
Wie Bärbel die Komplexität des Sachverhaltes reduziert haben könnte, zeigt die Tabelle. Bärbel hat nicht irrational entschieden – aber auf Basis eines vereinfachten Bildes der Wirklichkeit. Sie dachte, sie sei ganz objektiv – dabei hat ihr Gehirn die Komplexität reduziert, ohne dass sie es merkt. Das passiert uns allen.
Baustein der Entscheidung | Wie er im Kopf wirkt |
Zwei Frauen erzählen von guten Erfahrungen ohne Medikamente | „Das klappt auch ohne Medikamente.“ |
Kritische Berichte im Internet | „Das Medikament scheint gefährlich zu sein.“ |
Nutzen (z. B. weniger Knochenbrüche) ist unsichtbar | „Ich merke ja gar nicht, ob das hilft.“ |
Meine Empfehlungen an Bärbel:
1. Verstehen: Warum Entscheidungen manchmal trügen
Mein erster Rat an Bärbel war, sie möge verstehen, dass auch Entscheidungen, die wir für rational halten, unbewusst von Gefühlen, Erlebnissen und vereinfachten Denkprozessen beeinflusst werden können. Das ist menschlich – und kein Fehler, sondern ein Schutzmechanismus. Wichtig ist nur, es zu bemerken.
2. Informiert statt überinformiert
Internetrecherchen liefern oft mehr Meinung als gesicherte Erkenntnis. Bärbel sollte sich fragen: Habe ich mehr verstehbare Evidenz gesammelt – oder mehr emotional gefärbte Geschichten?
3. Das ärztliche Gespräch nutzen
Ich empfehle Bärbel konkrete Fragen zu stellen, wie z. B.:
- Wie groß ist mein persönliches Frakturrisiko – mit und ohne Therapie?
- Was passiert, wenn ich nichts tue?
- Was hat das Medikament konkret in Studien bewirkt?
4. Perspektivwechsel
Was würde Bärbel einer Freundin raten, die in ihrer Situation ist? Häufig hilft dieser Perspektivwechsel, die emotionale Verzerrung zu entlarven.
Mein Fazit für Bärbel:
Bärbel und ihr Arzt sollten die Entscheidung als gemeinsamen Aushandlungsprozess verstehen – bei dem medizinisches Wissen, persönliche Lebenssituation und psychologische Mechanismen zusammenspielen.
Der Patientenratgeber „Bei Risiken und Nebenwirkungen? Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen“ zeigt anhand von 15 eindrücklichen Fällen, wie medizinische Entscheidungen schiefgehen können – und was man daraus lernen kann. Anhand echter Geschichten, verständlich erklärt und sorgfältig analysiert, erfahren Patientinnen und Patienten, wie sie typische Denkfehler vermeiden, ihre Entscheidungskompetenz stärken und zu besseren, selbstbestimmten Entscheidungen finden können.
Ein Buch, das Mut macht – durch Wissen, Reflexion und die Erfahrungen anderer.
Und nicht nur bei medizinischen Fragen: Die Tipps und Einsichten helfen auch im beruflichen und privaten Alltag, bessere Entscheidungen zu treffen – klarer, überlegter und selbstsicherer.
