Denk‘ langsam, wenn Du’s eilig hast.
Aus Impulsen entstehen Geschichten, aus Geschichten werden Überzeugungen, aus Überzeugungen werden Entscheidungen – leider oft die falschen. Ein Grund dafür ist das schnelle Denken.
Die Idee, dass wir in zwei Systemen denken, geht auf die Theorien der beiden amerikanischen Psychologen Keith Stanovich und Richard West zurück [1]. Einem weltweiten Publikum bekannt wurde die Theorie durch das Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman, das monatelang Nr. 1 der Bestsellerlisten in vielen Ländern war. Die Theorie des Denkens in zwei Systemen ist inzwischen in den Entscheidungswissenschaften weitgehend etabliert.

Das „schnelle Denken“ ist immer aktiv. Es arbeitet intuitiv, automatisch und entzieht sich unserer willentlichen Steuerung. Laut Kahneman entstehen in System 1 spontan die Eindrücke und Gefühle, die die „Hauptquellen der expliziten Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind“.
System 2 ist das „langsame Denken“. Es muss bewusst aktiviert werden und arbeitet analytisch. System 2 ist jedoch träge und braucht viel Energie. Kahneman spricht vom „faulen“ System 2. Eine der Hauptfunktionen von System 2 besteht laut Kahneman darin, die von System 1 vorgeschlagenen Gedanken und Urteile zu überwachen und zu kontrollieren, bevor sie zu Entscheidungen und Handlungen werden. Aufgrund der Trägheit von System 2 laufen wir meist im Autopiloten von System 1 durch den Alltag.
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Prozess, wie ein Gefühl zu einer Entscheidung führt. Bei diesem Beispiel handelt es sich um eine Patientin mit einem Glaukom. Ein Glaukom ist eine Erkrankung des Auges, die durch einen erhöhten Augeninnendruck geprägt ist. Der Augenarzt hat der Patientin Augentropfen verschrieben, die den Druck senken. Unbehandelt kann der erhöhte Augeninnendruck zum Verlust der Sehkraft führen. Die Patientin hat die Augentropfen ohne Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt. Sie nimmt sie nur noch kurz vor den Arztterminen, in deren Rahmen der Augenarzt den Augeninnendruck misst.
Die Geschichte dieser Patientin lautet:

Ich nehme die Augentropfen schon seit zwei Jahren. Ich habe es immer widerwillig getan, weil ich es als unangenehm und lästig empfand. Außerdem muss mein Augenproblem nicht zwangsläufig zur Erblindung führen. In meinem Bekanntenkreis haben 2 Personen schon seit Jahren ein Glaukom, ohne dass sich ihre Sehkraft verschlechtert hat, obwohl sie noch nie Augentropfen genommen haben. Und im Internet habe ich sogar gelesen, dass Patienten von den Augentropfen Herzprobleme bekommen haben. Deshalb bin ich inzwischen davon überzeugt, dass es mir eher schadet als nutzt, wenn ich die Tropfen bis zu meinem Lebensende nehme.
Über die Rolle von Emotionen im Zusammenspiel zwischen System 1 und System 2 schreibt Daniel Kahneman:
… Doch im Kontext von Einstellungen ist System 2 eher ein Fürsprecher der Emotionen von System 1 als ein Kritiker dieser Emotionen – eher ein Unterstützer als ein Kontrolleur. Seine Suche nach Informationen und Argumenten beschränkt sich überwiegend auf Informationen, die mit bestehenden Überzeugungen in Einklang stehen, und verfolgt nicht die Absicht, diese zu überprüfen.
Das schnelle Denken strebt nach Kohärenz. Das bedeutet, es konstruiert eine Geschichte, die in sich schlüssig ist. Informationen, die die Kohärenz stören, werden schnell ausgeblendet. Die Qualität und Glaubwürdigkeit der Informationen wird nicht überprüft. System 2 „winkt“ die Entscheidung durch.

Wie man das langsame Denken trainieren kann.
Ein Mitarbeiter der Initiative DIE GUTE PATIENTENENTSCHEIDUNG berichtete kürzlich folgenden Fall: Ein Mann sprach ihn auf der Straße an. Er sah ziemlich heruntergekommen aus. Der Mitarbeiter wollte schon abwinken und weitergehen, weil er dachte, der Mann sei ein Bettler, besann sich aber und hörte dem Mann zu. Der Mann wollte tatsächlich kein Geld, sondern er wollte wissen, wo die nächste U-Bahnstation ist. Der Mitarbeiter lebt in einer Großstadt, wo man immer wieder von Menschen angesprochen wird, die um etwas Kleingeld bitten. Würde er in einem Dorf leben, wäre ihm der Gedanke „schon wieder ein Obdachloser, der um Geld bettelt“ nicht so leicht „in den Sinn“ gekommen.
Seine Erfahrung hat ihn zur Entwicklung dieses Posters inspiriert (eine Art Selbstporträt). Es hängt in seinem Büro und soll ihn täglich daran erinnern, immer mal wieder vom schnellen auf das langsame Denken umzuschalten. Denn das schnelle Denken führt uns häufig zu falschen Interpretationen dessen, was wir sehen, hören oder lesen.
Sie können es in unserem Online Shop kaufen und unterstützen damit unsere Initiative.
Ganz nebenbei bemerkt: Das langsame Denken gibt uns auch den Rat, Obdachlose als Mensch zu achten, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und sie nicht einfach wie Luft zu behandeln. Auch wenn man ihnen kein Geld geben kann oder will, kann man ihnen zumindest einen freundlichen Blick oder ein lächeln schenken.

Das langsame Denken beginnt mit dem Wissen darüber, wie Überzeugungen entstehen. Das alleine reicht aber nicht. Wenn man das langsame Denken praktizieren will, muss man die Trägheit von System 2 überwinden.
Zunächst ist jedoch festzustellen, dass das Denken in zwei Systemen eine geniale Erfindung der Evolution ist. In den Anfangszeiten des Menschen, war es oft überlebensnotwendig, blitzschnell – ohne das Für und Wider abzuwägen – zu entscheiden.
Auch heute brauchen wir das schnelle Denken. Wir treffen täglich tausende von Entscheidungen, bei den meisten wird uns nicht einmal bewusst, dass wir eine Entscheidung getroffen haben. Es ist unmöglich, jede Entscheidung zu durchdenken. Unsere Intuition baut auf gelernten Erfahrungen auf. Je mehr Erfahrungen wir haben, umso mehr können wir uns auf die Entscheidungen des schnellen Denkens verlassen.
Das rechts abgebildete Poster finden Sie ebenfalls im Onlineshop.
