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Verlust oder Gewinn? – Wie Gefühle unsere Entscheidungen beeinflussen.
Ein Motiv der Serie „Starke Impulse für gute Patientenentscheidungen“.
Der Text unter dem Motiv:
Stellen Sie sich vor, Sie finden zufällig 100 Euro auf einer Parkbank. Wie sehr freuen Sie sich? Wie wäre es aber, wenn Sie 100 Euro aus Ihrer Tasche verlieren würden, statt sie zu finden? Wie sehr würden Sie sich ärgern? Welches Gefühl ist stärker?
Die meisten Menschen empfinden den Verlust einer Summe Geldes als viel schmerzhafter, als sie sich über den Gewinn der gleichen Summe freuen würden. Das nennt man „Verlustaversion“ – ein psychologischer Effekt, der wie kaum ein anderer erforscht und gut belegt ist. Verluste wirken emotional etwa doppelt so stark wie gleich große Gewinne. Warum ist das wichtig? Die Verlustaversion beeinflusst viele Entscheidungen – bei der Geldanlage, im Beruf oder im Alltag.
Die Verlustaversion beeinflusst auch Entscheidungen von Patienten, z. B. beim Abwägen des Nutzens und der Risiken von Arzneimitteln. So empfinden manche Patienten die möglichen Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten als Verlust – zum Beispiel befürchten sie den Verlust von Lebensqualität, Unabhängigkeit oder Sicherheit. Selbst wenn ein Medikament eine große Chance auf Besserung bietet, kann die Angst vor möglichen negativen Folgen stärker wiegen. Risiken sollten berücksichtigt werden, aber nicht größer gemacht werden, als sie tatsächlich sind, deshalb sprechen Sie uns an, wenn
Sie Fragen zu dem Arzneimittel haben, das Ihnen verordnet wurde.

Sandras Ärztin empfahl Sandra ein neues Medikament, das ihr nach jahrelangen Beschwerden endlich helfen sollte. Sandra lehnte ab. Ihre Ärztin hat sich an uns gewandt.
Anmerkung: Sandras Ärztin hat uns den Namen ihrer Patientin natürlich nicht mitgeteilt und auch keine Einzelheiten berichtet. Name und Foto sind daher nur Platzhalter.
Autor: Peter Jungblut

Wenn Sie Ihre Entscheidung analysieren lassen wollen, schicken mir gerne gerne eine E-Mail. Ich nehme Kontakt mit Ihnen auf.
Sandras Entscheidung
Sandra leidet seit vielen Jahren an Colitis ulcerosa. Das ist eine chronische Entzündung des Dickdarms, die in Schüben verläuft und zu starken Bauchschmerzen, häufigem Durchfall und ständiger Erschöpfung führen kann. Sandra hat schon viele Therapien ausprobiert, aber keine hat ihr wirklich dauerhaft geholfen. Ihre Ärztin empfahl ihr kürzlich ein neues Medikament namens Upadacitinib, das in Studien vielversprechend wirkt. Es könne ihre Beschwerden deutlich lindern und ihr den Alltag spürbar erleichtern. Doch Sandra ist unsicher. In der Packungsbeilage liest sie von möglichen Nebenwirkungen wie Infektionen oder veränderten Leberwerten. Auch wenn ihre Ärztin ihr erklärt, dass diese Risiken selten und gut behandelbar sind, macht sich Sandra große Sorgen. Sie hat Angst, durch das Medikament etwas zu verlieren – zum Beispiel Energie, Sicherheit oder Selbstständigkeit. Deshalb entschied sie sich gegen die Behandlung – aus Angst vor möglichen Nachteilen. Dass sie dadurch auch eine große Chance auf Besserung verpasst, erscheint ihr im Vergleich weniger wichtig.
Sandras Ärztin ist auf diese Website gestoßen und hat mich kontaktiert. Sie wollte einen Tipp, wie sie Sandra umstimmen kann.
Ich habe sie zunächst gefragt, wie Sandra ihre Entscheidung begründet hat. Das bezeichne ich als „Sandras“ Geschichte.

Sandras Geschichte*
Ich habe lange über das Medikament nachgedacht, wirklich. Ich weiß, dass es neu ist und gute Ergebnisse zeigt. Und Sie haben mir ja auch erklärt, dass es die Entzündung in den Griff bekommen könnte – vielleicht sogar besser als alles, was ich bisher hatte. Aber ich habe einfach ein schlechtes Gefühl dabei.
Ich hab die Packungsbeilage gelesen, mir Erfahrungsberichte durchgelesen, Forenbeiträge… Und dann stand da was von Infektionen, Erschöpfung, Leberwerten – lauter Dinge, die mir richtig Angst gemacht haben. Ich hab so schon genug zu kämpfen im Alltag. Wenn ich jetzt auch noch Nebenwirkungen bekomme, vielleicht ins Krankenhaus muss oder nicht mehr arbeiten kann – das wäre für mich ein echter Rückschritt. Ich will nicht noch mehr verlieren.
Ich weiß, es klingt vielleicht unlogisch, aber selbst wenn die Chancen gut stehen, dass das Medikament hilft: Dieses ‚Was, wenn doch etwas schiefgeht?‘ sitzt mir die ganze Zeit im Nacken. Mit meinen jetzigen Beschwerden kann ich irgendwie leben – ich hab mich daran gewöhnt. Aber wenn ich etwas nehme und es geht mir schlechter als vorher? Dann wäre das meine Entscheidung gewesen. Und davor habe ich richtig Respekt.
Ich will einfach kein Risiko eingehen, das mir im Nachhinein das Gefühl gibt, einen Fehler gemacht zu haben
* Mit dem Begriff „Geschichte“ fasse ich zusammen, wie ein Interviewpartner seine Entscheidung begründet. Warum das für die Analyse der Entscheidung wichtig ist, wie die Geschichte entsteht und wie aus einer Geschichte eine Entscheidung wird, erfahren Sie hier ->.
Die Analyse von Sandras Entscheidung
Sandra K.s Entscheidung, das Medikament Upadacitinib nicht einzunehmen, lässt sich gut durch den psychologischen Mechanismus der Verlustaversion erklären – einem Phänomen, bei dem Menschen potenzielle Verluste stärker gewichten als gleich große mögliche Gewinne.
1. Fokus auf mögliche Verluste
Obwohl ihr rational klar ist, dass das Medikament eine große Chance auf Besserung bietet („vielleicht sogar besser als alles, was ich bisher hatte“), richtet Sandra ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die möglichen negativen Folgen: Infektionen, Erschöpfung, Leberprobleme, Krankenhausaufenthalte, Einschränkungen im Alltag. Diese Nebenwirkungen erscheinen ihr emotional viel bedrohlicher als der potenzielle Gewinn – also ein Leben mit weniger oder gar keinen Beschwerden.
2. Vermeidung gefühlter Verantwortung
Ein zentrales Element der Verlustaversion ist auch die Angst vor Selbstverantwortung für einen möglichen negativen Ausgang. Sandra sagt:
„Aber wenn ich etwas nehme und es geht mir schlechter als vorher? Dann wäre das meine Entscheidung gewesen.“
Damit bringt sie ein typisches Motiv der Verlustaversion zum Ausdruck: Lieber in einem unbefriedigenden Zustand verharren, der „einfach passiert“ ist, als eine aktive Entscheidung treffen, die möglicherweise schiefgeht – selbst wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist.
3. Status quo als vermeintlich sichere Option
Sandra bezeichnet ihre aktuellen Beschwerden als etwas, mit dem sie „irgendwie leben“ kann. Das zeigt, wie stark der Status quo durch Verlustaversion aufgewertet wird – selbst wenn er objektiv mit deutlich mehr Einschränkungen verbunden ist. Der bekannte, kontrollierbare Zustand erscheint ihr sicherer als ein möglicher Gewinn, der mit Risiko behaftet ist.
4. Emotion schlägt Statistik
Trotz medizinischer Aufklärung durch die Ärztin („Sie haben mir ja auch erklärt…“) entscheidet sich Sandra nicht auf Basis objektiver Risiken, sondern auf Grundlage ihres emotionalen Bauchgefühls („Ich habe einfach ein schlechtes Gefühl dabei.“). Auch das ist typisch für Verlustaversion: Emotionale Einschätzungen wiegen schwerer als rationale Risikoabwägungen.
Fazit
Sandra K.’s Entscheidung, auf das Medikament zu verzichten, ist kein Ausdruck von fehlender Einsicht oder mangelnder Information, sondern ein klarer Fall von Verlustaversion. Die Angst vor möglichen Verlusten (Nebenwirkungen, Kontrollverlust, Verschlechterung) ist für sie emotional stärker als die Aussicht auf eine spürbare Besserung. Dieses psychologische Muster kann medizinische Entscheidungen erheblich beeinflussen – selbst wenn der Nutzen einer Therapie deutlich überwiegt.
Was ich Sandras Ärztin geraten habe
1. Validieren, nicht widersprechen
Sandras Ärztin wirkte auf mich sehr empathisch. Dennoch habe ich nochmal darauf hingewiesen, dass es im Fall Sandra besonders wichtig ist, zu zeigen, dass sie ihre Sorgen ernst nimmt. Das senkt die Abwehr.
„Ich verstehe gut, dass Sie bei einem neuen Medikament erst einmal vorsichtig sind. Gerade wenn man schon so viel erlebt hat wie Sie, ist es ganz natürlich, sich zuerst auf mögliche Risiken zu konzentrieren.“
2. Verlustaversion vorsichtig einführen
Sandras Ärztin sollte durchaus die Verlustaversion thematisieren. Sie sollte ihn allerdings neutral erklären, ohne Wertung – als etwas, das viele betrifft.
„Was Sie beschreiben, kenne ich auch von anderen Patienten. Man nennt das in der Psychologie Verlustangst oder Verlustaversion. Das bedeutet: Wir empfinden die Vorstellung, etwas zu verlieren, oft viel intensiver als die Hoffnung, etwas zu gewinnen – auch wenn der Gewinn objektiv größer wäre. Das ist ganz normal, aber es kann uns manchmal in eine Richtung lenken, die uns langfristig nicht hilft.“
3. Perspektivenwechsel ermöglichen
Dann sollte sie Sandra helfen, den Fokus zu verschieben – weg von den Risiken hin zur Balance von Chancen und Risiken.
„Wenn wir nur auf die möglichen Nebenwirkungen schauen, sieht das Medikament natürlich riskant aus. Aber was wäre, wenn wir es wie eine Waage betrachten: Auf der einen Seite stehen Ihre jetzigen Beschwerden, die Sie jeden Tag einschränken – auf der anderen Seite steht die Möglichkeit, dass sich Ihr Alltag spürbar verbessert. Was denken Sie, wie stark wiegt das für Sie?“
4. Entscheidung „reversibel“ machen
Verlustaversion wird stärker, wenn die Entscheidung als endgültig empfunden wird. Sandra braucht ein Gefühl der Kontrolle, wenn Sie sich auf das Medikament einlässt.
„Sie müssen sich nicht sofort festlegen – wir können es ja erst einmal mit einer niedrigen Dosis oder für einen begrenzten Zeitraum versuchen und genau beobachten, wie Sie es vertragen. Wenn Sie merken, dass es Ihnen nicht guttut, brechen wir ab. Das ist keine Einbahnstraße.“
5. Patientenziele in den Mittelpunkt stellen
Ziele sind wichtig für die Entscheidung. Sie helfen Patienten oftmals zu erkennen, welche Option für sie besser ist.
„Darf ich fragen, was für Sie im Alltag momentan am schwersten ist? Und was wäre für Sie ein richtig gutes Ergebnis – ganz unabhängig vom Medikament? Vielleicht können wir gemeinsam überlegen, ob dieses Medikament ein Weg dorthin sein könnte.“
Let’s Work Together
Initiative DIE GUTE PATIENTENENTSCHEIDUNG
Starke Impulse für mehr Adhärenz
Peter Jungblut
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