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Urteilsfehler
Unsere Entscheidungen basieren auf der Beurteilung der zur Verfügung stehenden Informationen. Das Problem dabei ist, dass wir bei der Bewertung dieser Informationen spezifischen Fehlern auf den Leim gehen. Die Wissenschaft spricht von „kognitiven Verzerrungen“ oder Urteilsfehlern.
Stellen Sie sich zwei Gruppen von Menschen vor. Die Mitglieder von Gruppe 1 sind davon überzeugt, dass die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung hat. Die Mitglieder der Gruppe 2 glauben das Gegenteil. Nun bitten Sie jedes Mitglied beider Gruppen zwei Studien zu lesen. Die eine Studie „beweist“ anhand von empirischen Daten, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat, die andere „beweist“ das Gegenteil –ebenfalls anhand von Daten. Anschließend befragen Sie die Teilnehmer Ihres kleinen Experimentes, wie sich die Lektüre der beiden Studien auf ihre Meinung ausgewirkt hat. Was, glauben Sie, kommt dabei heraus?
Eine solche Studie wurde tatsächlich durchgeführt – und eine Vielzahl ähnlicher Studien. Es kommt immer wieder das Gleiche dabei heraus [1]: Die meisten Studienteilnehmer bleiben im Prinzip bei ihrer Meinung. Mehr noch, die Lektüre der beiden gegensätzlichen Studien festigt ihre bisherige Meinung sogar. Die Studie, die die jeweils andere Auffassung vertritt, wird als methodisch unsauber und qualitativ schlecht bezeichnet — die Studie, die die eigene Auffassung bestätigt, wird gelobt.
Die Teilnehmer dieser Studie sind einem Fehler auf den Leim gegangen, der als „Selbstbestätigungsfalle“ bekannt ist.

Für das Verständnis von kognitiven Verzerrungen ist eine Annäherung über das Phänomen der optischen Täuschungen sinnvoll.
Eine der bekanntesten ist die Müller-Lyer-Illusion. Sie wurde 1889 von dem deutschen Psychiater und Soziologen Franz Müller-Lyer entdeckt. Wenn Sie wie die meisten Menschen ticken – und die Müller-Lyer-Illusion nicht bereits kennen – werden sie darauf wetten, dass die linke senkrechte Linie länger ist als die rechte. Der Grund dafür ist eine optische Täuschung, für die bis heute keine einhellige Erklärung gefunden wurde.
Sie werden auf die Müller-Lyer-Illusion nicht wieder hereinfallen, wenn Sie sich einmal davon überzeugt haben, dass beide Linien gleich lang sind – auch wenn die optische Täuschung nach wie vor da ist. Bei den kognitiven Verzerrungen ist es anders, man geht ihnen immer wieder auf den Leim, selbst dann, wenn man sie kennt.

Inzwischen sind eine Vielzahl von Urteilsfehlern beschrieben und wissenschaftlich erforscht. Ich will mich an dieser Stelle auf die Urteilsfehler beschränken, die mir im Rahmen meiner Interviews mit Patienten am häufigsten begegnet sind. Man kann sie den Kategorien „kognitive Leichtigkeit“, „falsche Selbsteinschätzung“ und „versteckte Impulse“ zuordnen.
Verlustaversion
Die Verlustaversion beschreibt das Phänomen, dass wir uns über einen Verlust doppelt so sehr ärgern, wie wir uns über einen Gewinn in gleicher Höhe freuen. Dieser Effekt führt dazu, dass wir oft überzogene Risiken eingehen, um einen drohenden Verlust zu vermeiden. Wie sich die Verlustaversion auf Patientenentscheidungen auswirkt, zeigt die Patientengeschichte von Hermann.
Selbstbestätigungsfalle
Die Selbstbestätigungsfalle habe ich eingangs bereits ausführlich beschrieben. Wir neigen dazu Informationen zu bevorzugen, die unsere Grundauffassung bestätigen. Informationen, die sie ins Wanken bringen ignorieren oder diskreditieren wir.

Unterlassungseffekt
Ein Patient hat eine Pollenallergie. Sein Arzt bietet ihm eine Desensibilisierung an. Eine Desensibilisierung (auch spezifische Immuntherapie oder Hyposensibilisierung genannt) ist eine medizinische Behandlungsmethode bei Allergien, bei der das Immunsystem schrittweise an ein Allergen gewöhnt wird, um allergische Reaktionen langfristig zu reduzieren oder ganz zu verhindern.
Der Patient muss entscheiden, ob er das Angebot annimmt oder nicht. Ich will diese Beiden Möglichkeiten für dieses Beispiel mit „Handlung“ und „Unterlassung“ bezeichnen. Beides birgt Risiken in sich. Die Handlung geht mit dem Risiko von Nebenwirkungen einher, die Unterlassung kann zu Folgeerkrankungen, wie z. B. Asthma führen. Der Unterlassungseffekt beschreibt das Phänomen, dass Menschen dazu neigen. eine Handlung zu unterlassen, obwohl sie das Risiko größer ist, als das Risiko des Tuns. Die Erklärung dafür ist, dass wir uns für unser Handlungen stärker verantwortlich fühlen als für die Unterlassung einer Handlung.
Halo-Effekt
Die deutsche Bezeichnung für den Halo-Effekt ist „Heiligenschein-Effekt“. Ein Mensch hat bekanntlich unterschiedliche Gesichter. Wie man diesen Menschen bei der ersten Begegnung einschätzt, hängt in starkem Maße davon ab, welches dieser Gesichter man als erstes wahrnimmt (für „wahr“ nimmt). Begegnet man diesem Menschen in einer anderen Situation, steckt man ihn vielleicht auch in eine andere Schublade. Wie auch immer, wer einmal in einer Schublade steckt, kommt nur schwer wieder heraus.
Der Halo-Effekt wirkt aber nicht nur in Bezug auf Menschen, sondern auch bei Kaufentscheidungen (also in Bezug auf Produkte) und beim Umgang mit Arzneimitteln. Wenn einem Patienten aus der Summe der Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen eine Eigenschaft besonders ins Auge fällt, kann es dazu führen, dass diese Eigenschaft die gesamte Bewertung des Arzneimittels überstrahlt.
Rückschaufehler
Es gibt einen Unterschied zwischen einer Erfahrung und der Erinnerung an diese Erfahrung. Der Rückschaufehler beschreibt die Tendenz, unsere Erinnerung so zu korrigieren, das sie in das Bild passt, das wir sehen wollen. Wie sich der Rückschaufehler bei Patienten auswirken kann, will ich an folgendem Beispiel verdeutlichen:
Ein Patient hat eine schwere Infektion. Der Arzt verschreibt ihm ein Antibiotikum. Der Patient nimmt das Antibiotikum aber nicht ein. Einige Wochen später liegt er auf der Intensivstation. Der Patient begründet seine Entscheidung damit, dass er einige Jahre zuvor eine ähnliche Infektion hatte, die er ohne Antibiotikum gut überstanden hatte. Der Arzt schaut in der Akte nach und stellt fest, dass der Patient mit seiner Einschätzung falsch liegt. Der Rückschaufehler hat dafür gesorgt, dass er sich an die frühere Infektion so erinnert, dass er seine aktuelle Entscheidung damit rechtfertigen konnte.
Kontrollillusion
Die Kontrollillusion beschreibt die Tendenz zu glauben, dass man durch eigenes Verhalten, Wissen oder Rituale das Ergebnis eines objektiv unkontrollierbaren Ereignisses beeinflussen kann. Ein typisches Beispiel ist der Würfelspieler, der die Würfel schmettert, wenn er eine hohe Zahl benötigt und sie sanft kullern lässt, wenn eine niedrige Zahl gewünscht wird.
Bei Patienten kann die Kontrollillusion zu der Überzeugung führen, sie hätten ihre Erkrankung „im Griff“, auch ohne Medikamente – obwohl diese einen wesentlichen Anteil an der Stabilisierung haben. Wie sich die Verlustaversion auf Patientenentscheidungen auswirkt, zeigt die Patientengeschichte von Simon.
Optimistische Verzerrung
Optimistische Verzerrung ist ein überdosierter Optimismus. Optimismus ist dann überdosiert, wenn ihm die Grundlage fehlt. Die optimistische Verzerrung ist oft im Spiel, wenn Patienten ihre Arzneimittel absetzen oder gar nicht erst einnehmen. Die Verzerrung drückt sich z. B. dadurch aus, dass ein Patient meint, negative Ereignisse würden ihn selbst weniger wahrscheinlich treffen als andere. Typische Gedanken sind: „Ich brauche die Medikamente nicht mehr, mir passiert schon nichts“ oder „Die Krankheit kommt bestimmt nicht zurück – ich fühle mich ja gut“
Selbstüberschätzung
Der Begriff Overconfidence Bias (Selbstüberschätzung) geht auf die beiden amerikanischen Wissenschaftler Marc Alpert und Howard Raiffa zurück. Sie bezogen ihn auf den Bereich „Wissen“. Nach deren Definition beschreibt der Overconfidence Bias den Unterschied zwischen dem, was Menschen wissen und was sie zu wissen glauben. Später wurde er auch im Hinblick auf die Überschätzung unserer Fähigkeiten genutzt (so halten sich etwas 80% aller Autofahrer für überdurchschnittlich gute Autofahrer).
Ankereffekt
Anker sind vom Absender bewusst gesetzte oder vom Adressaten zufällig oder unbewusst aufgeschnappte Impulse, die sein Urteil und damit seine Entscheidungen beeinflussen. Anker wirken auch dann, wenn sie inhaltlich eigentlich nichts mit der Entscheidung zu tun haben. Clevere Staatsanwälte nutzen den Ankereffekt, indem sie ein überzogenes Strafmaß fordern.
Es gibt aber nicht nur quantitative Anker, sondern auch qualitative. Wenn ein Patient sich zu allererst und das intensiv mit den Nebenwirkungen eines Medikamentes beschäftigt, kann das die Einschätzung des Arzneimittels einseitig prägen.
Mere-Exposure-Effekt
Wiederholungen nerven. Dennoch haben sie Effekte, von denen wir oft lieber nichts wissen wollen. Sie führen nämlich dazu, dass wir Botschaften, Personen oder Produkte mit jedem neuen Impuls positiver (oder negativer) bewerten.
Framingeffekt
Der Framingeffekt beschreibt das Phänomen, dass unterschiedliche Formulierungen einer Information – bei gleichem Inhalt – beim selben Entscheider zu unterschiedlichen Entscheidungen führen können.
Im Rahmen einer Studie sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beurteilen, wie gesund zwei Stücke Fleisch sind. Das erste Stück erhielt das Attribut 1% fetthaltig, das zweiten Stück wurde als 99% fettfrei präsentiert. Die meisten Befragten stuften das zweite Stück als gesünder ein. Selbst bei der Auswahl zwischen 1% fetthaltig und 98% fettfrei wurde das zweite Stück Fleisch als gesünder eingestuft, obwohl es doppelt so viel Fett enthält wie das erste Stück.
Die gleiche Sachlage kann auch bei Patienten zu unterschiedlichen Beurteilung des gleichen Arzneimittels führen, je nachdem, welche Worte der Arzt bei der Beschreibung verwendet.
Primingeffekt
Der Primingeffekt beschreibt ein Reiz-Reaktions-Schema, bei dem er Eingangsreiz bestimmte Assoziationen hervorruft, die Einfluss auf die Reaktion des Reizempfängers haben. Dabei muss nicht unbedingt ein Zusammenhang zwischen dem Sender und dem Empfänger des Reizes bestehen. Sobald Sie als Patient eine Arztpraxis betritt, ist er zahlreichen Primingimpulsen ausgesetzt. So hat etwa das Ambiente, die Organisation der Praxis oder die Freundlichkeit des Personals einen Einfluss darauf, wie viel Vertrauen ein Patient zu seinem als Arzt hat.
Quelle
[1] Loyd, C. B., Spilker, B.: „The Influence of Client Preferences on Tax Professionals? Search for Judicial Precedents, Subsequent Judgments and Recommendations”, The Accounting Review
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Initiative DIE GUTE PATIENTENENTSCHEIDUNG
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