Nina und die „Optimistische Verzerrung“

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Name und Bild geändert.
Dieses Poster haben wir für Patientinnen und Patienten entwickelt, die …
- dazu neigen, eine begonnene Therapie vorzeitig zu beenden, obwohl medizinisch kein sinnvoller Grund vorliegt,
- sich in ihrer Entscheidungsfreiheit bestärkt fühlen, dabei aber unbewusst gegen die eigene Gesundheit „spielen“,
- meinen, sich klug zu verhalten – tatsächlich aber eine Entscheidung treffen, die die Wirkung der Behandlung selbst aushebelt.
Das Bildmotiv bringt dieses Dilemma auf den Punkt: Ein Schachkönig mit einem Sockel in Tablettenform wird von der eigenen Figur geschlagen – eine Metapher für die paradoxe Entscheidung, sich selbst auszubremsen. Es lädt ein, innezuhalten, die Folgen der eigenen Entscheidung zu bedenken und unterstützt eine Haltung, die langfristige Gesundheit über kurzfristige Impulse stellt.

Der Impuls steht Kliniken, Arztpraxen und Apotheken in verschiedenen Formaten zur Verfügung:
- als Gesprächskarte für die direkte Kommunikation mit Patient:innen,
- als Poster, das im Raum wirkt und Patient:innen still zum Nachdenken anregt,
- in digitaler Form für Bildschirme,
- als Flyer, der dem Rezept beigelegt oder beim Einlösen in der Apotheke mitgegeben werden kann.
Alle Materialien werden individuell auf Ihre Klinik, Praxis oder Apotheke abgestimmt – und tragen so Ihre Handschrift.
Wie Sie unsere Motive gezielt zur Förderung von Adhärenz einsetzen können?
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Der Text unter dem Poster:
Viele Menschen kennen jemanden, der auf einem guten Weg war – mit einem klaren Ziel vor Augen. Und dann kam eine Entscheidung, die plötzlich alles infrage stellen. Außenstehende verstehen oft nicht, warum.
Solche Situationen gibt es auch in der Medizin. Patientinnen und Patienten wünschen sich Heilung, Schutz vor Rückfällen oder ein Leben mit weniger Einschränkungen. Doch manchmal bremsen sie sich selbst aus:
Sie setzen ihre Medikamente ab. Oder sie beenden eine Therapie, obwohl sie hilft. Oft leise und für sich – ohne ein Wort. Wenn Ihnen solche Gedanken vertraut vorkommen: Sprechen Sie uns an. Wir nehmen uns Zeit und suchen gemeinsam nach einer Lösung, die zu Ihrem Leben passt.
Denn eine gute Entscheidung beginnt mit einem offenen Gespräch.
Nina hat mich kontaktiert, ich habe mich mit ihr getroffen.
Ninas „Geschichte“
Nina B. ist 35, Lehrerin, sportlich, und jedes Frühjahr plagt sie das Gleiche: tränende Augen, Niesanfälle, Atemnot beim Radfahren. Ihr wurde schließlich eine Gräserpollen-Allergie mit beginnendem allergischem Asthma diagnostiziert.
Gemeinsam mit ihrer Ärztin begann sie eine spezifische Immuntherapie (SIT) – eine Behandlung, bei der der Körper über drei Jahre hinweg langsam an den Allergieauslöser gewöhnt wird. Nina bekam regelmäßig Injektionen – unter anderem mit einem Gräserpollenpräparat, wie es z. B. von Allergopharma angeboten wird.
Die Behandlung zeigte Wirkung: Schon nach dem ersten Jahr fühlte sie sich viel besser. Und nach zwei Jahren dachte Nina:
„Ich merke kaum noch etwas – vielleicht hat mein Körper es einfach selbst geschafft.“
Sie entschied sich, die Therapie vorzeitig abzubrechen. Einfach so. Ohne Rücksprache.
Die Ärztin rief Nina an und versuchtes sie zur Fortsetzung der Therapie zu motivieren. Da sich Nina weigerte, empfahl ihre Ärztin den Kontakt zur Initiative.
Optimistische Verzerrung als blinder Fleck in Ninas Entscheidung
Nina hatte alle Informationen. Ihre Ärztin hatte ihr erklärt, dass die spezifische Immuntherapie gegen ihre Gräserpollenallergie drei Jahre dauern müsse, um eine stabile Umprogrammierung des Immunsystems zu erreichen. Auch der Unterschied zwischen kurzfristiger Symptomfreiheit und langfristiger Zielerreichung war ihr bewusst. Dennoch traf Nina nach zwei Jahren die Entscheidung, die Therapie eigenmächtig abzubrechen – mit dem Gedanken: „Mir geht’s gut – ich glaube, mein Körper hat das jetzt allein geschafft.“
Diese Entscheidung lässt sich nicht mit fehlendem Wissen erklären, sondern mit einer typischen kognitiven Verzerrung: der optimistischen Verzerrung (engl. optimism bias). Menschen unterliegen häufig der Neigung, zu glauben, dass sie weniger von negativen Ereignissen betroffen sein werden als andere. In Ninas Fall bedeutet das: Obwohl sie weiß, dass die Therapie für eine langfristige Wirkung abgeschlossen werden muss, hält sie sich für die Ausnahme. Sie glaubt, dass die Risiken eines Rückfalls für sie persönlich nicht zutreffen, oder dass sie mit ihrer Lebensweise (gesunde Ernährung, Sport) den Rest selbst kompensieren könne.
Diese verzerrte Wahrnehmung führt dazu, dass sie die ärztliche Empfehlung innerlich entwertet – nicht aus Trotz, sondern aus unbewusster Selbstüberschätzung. Sie fühlt sich sicher, weil die Beschwerden weg sind, und blendet dabei aus, dass das Immunsystem weiterhin unvollständig trainiert sein kann. In ihrer Wahrnehmung ist das Ziel bereits erreicht – weil ihr subjektives Erleben stärker wirkt als das medizinisch fundierte Wissen um Langzeiteffekte.
Gerade in der Allergologie ist diese Form der Verzerrung häufig zu beobachten: Patient:innen brechen die Therapie ab, sobald die Symptome nachlassen – und interpretieren diesen kurzfristigen Erfolg als Zeichen der Heilung. Die langfristige Wirksamkeit gerät dabei aus dem Blick, obwohl sie das eigentliche Ziel der Behandlung ist.
Ninas Fall macht deutlich: Die optimistische Verzerrung ist kein Ausdruck von Leichtsinn, sondern ein blinder Fleck in der menschlichen Entscheidungslogik. Sie zeigt, wie stark Emotion und momentanes Erleben unser Denken beeinflussen können – selbst wenn wir es eigentlich besser wissen.r fühlen, neigen eher dazu, ihre Medikation eigenmächtig zu verändern oder abzusetzen – insbesondere dann, wenn sie sich nicht ausreichend über den langfristigen Nutzen informiert oder in Entscheidungen eingebunden fühlen.

Die Karte ist Teil des Kartensatzes „Entscheidungsprinzipien und Denkfallen, die Sie kennen sollten“. Sie finden den Kartensatz in unserem Online Shop.
Die Optimistische Verzerrung im privaten und beruflichen Alltag
Die optimistische Verzerrung ist ein Denkfehler, dem viele Menschen unbewusst unterliegen. Sie beschreibt die Tendenz, persönliche Risiken zu unterschätzen und zu glauben, dass negative Ereignisse eher andere treffen als einen selbst. Obwohl wir rational wissen, dass Dinge schieflaufen können, gehen wir oft davon aus, dass wir schon verschont bleiben. Erforschung fand dieses Phänomen unter anderem durch die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot, die zeigen konnte, dass unser Gehirn positive Informationen bevorzugt verarbeitet – wir nehmen gute Nachrichten leichter auf und blenden unangenehme Fakten gern aus.
Im Alltag zeigt sich diese Verzerrung überall: Wenn Menschen auf Sonnenschutz verzichten, weil sie „nie Sonnenbrand kriegen“. Wenn sie glauben, keinen Gurt zu brauchen, weil sie „gut fahren“. Oder wenn Patient:innen eine Therapie abbrechen, weil es ihnen aktuell besser geht – in der Annahme, das eigentliche Ziel sei damit schon erreicht. In solchen Momenten wird die optimistische Verzerrung sichtbar: Man hält sich für die Ausnahme, obwohl die Regel klar ist.
Erkennen lässt sich dieser Denkfehler vor allem dann, wenn Menschen Risiken herunterspielen, sich von allgemeinen Empfehlungen distanzieren oder kurzfristigen Erfolg mit vollständiger Zielerreichung gleichsetzen. Was helfen kann, ist das Bewusstmachen des Musters: Sich ehrlich fragen, ob man genauso entscheiden würde, wenn es um einen nahestehenden Menschen ginge. Auch das Gespräch mit einem Arzt oder einer vertrauten Person kann dabei helfen, den eigenen blinden Fleck zu erkennen – bevor eine gute Entwicklung abbricht.
Optimismus ist wertvoll. Aber wer ihn mit kritischem Denken kombiniert, entscheidet nachhaltiger.
Was ich Ninas Ärztin empfohlen habe
Nachdem mich mit Nina getroffen habe, habe ich ihrer Ärztin einen Geprächsleitfaden erstellt, den Sie für Fälle wie Nina nutzen kann. Der Gesprächsleitfaden enthält folgende 5 Punkte:
1. Validierung und Einstieg über Verständnis:
Bevor Sie Nina für die Fortsetzung der Therapie gewinnen können, braucht sie das Gefühl, dass Sie ihre Sichtweise verstehen – und nicht verurteilen.
„Ich verstehe, dass es sich für Sie nach einem großen Erfolg anfühlt. Sie haben durchgehalten, die Therapie gut vertragen, und Ihre Beschwerden sind deutlich besser geworden – das ist wirklich positiv.“
2. Perspektivwechsel über ein Bild
Um das Missverständnis zwischen Symptomfreiheit und Zielerreichung aufzulösen, empfehle ich einen anschaulichen Vergleich.
„Ich vergleiche das manchmal mit einem Antibiotikum: Schon nach drei Tagen fühlt man sich oft besser – aber wenn man dann aufhört, bevor der Infekt wirklich ausgeheilt ist, kann alles zurückkommen.
Genauso ist es mit der Immuntherapie. Die Symptomfreiheit ist wie ein erster Etappensieg – aber noch nicht das Ziel.“
3. Die optimistische Verzerrung sanft erklären
Wenn jemand gegen besseres Wissen entscheidet, steckt oft keine Logikfehler dahinter – sondern ein typischer Denkfehler, den viele teilen. In Ninas Fall empfehle ich, diesen Denkfehler aktiv anzusprechen, aber entpersonalisiert.
„Was Sie beschreiben, kommt häufiger vor, als man denkt. Wenn Menschen sich besser fühlen, glauben sie oft, dass sie zu den Glücklichen gehören, bei denen es schon gereicht hat. Das nennt man in der Psychologie optimistische Verzerrung – man unterschätzt die Risiken, weil man hofft, schon auf der sicheren Seite zu sein.
Es ist ganz menschlich – aber manchmal trügt das Gefühl.“
4. Ninas Entscheidungskompetenz einbinden
Stärken Sie Ninas Rolle als reflektierte Entscheiderin – so steigt ihre Bereitschaft, den eingeschlagenen Weg doch noch weiterzugehen.
„Ich schlage vor, wir schauen uns gemeinsam an, wie weit Sie gekommen sind – und was das dritte Jahr noch bewirken kann. Sie entscheiden, ob Sie das Ziel vollständig erreichen wollen. Ich begleite Sie dabei – aber die Richtung bestimmen Sie.“
5. Motivation durch Zielfokus und Verstärkung
Zum Schluss lohnt sich ein Ausblick: Was winkt am Ende der dritten Etappe? So entsteht wieder ein greifbarer Sinn hinter der Therapie.
„Wenn Sie die letzten Meter auch noch gehen, erhöhen Sie Ihre Chance deutlich, dass die Allergie langfristig schwächer bleibt oder ganz verschwindet. Viele Patient:innen, die durchgehalten haben, berichten, dass sie später gar keine Medikamente mehr brauchen. Das ist ein realistisches Ziel – und es liegt greifbar nah.“
Der Patientenratgeber „Bei Risiken und Nebenwirkungen? Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen“ zeigt anhand von 15 eindrücklichen Fällen, wie medizinische Entscheidungen schiefgehen können – und was man daraus lernen kann. Anhand echter Geschichten, verständlich erklärt und sorgfältig analysiert, erfahren Patientinnen und Patienten, wie sie typische Denkfehler vermeiden, ihre Entscheidungskompetenz stärken und zu besseren, selbstbestimmten Entscheidungen finden können.
Ein Buch, das Mut macht – durch Wissen, Reflexion und die Erfahrungen anderer.
Und nicht nur bei medizinischen Fragen: Die Tipps und Einsichten helfen auch im beruflichen und privaten Alltag, bessere Entscheidungen zu treffen – klarer, überlegter und selbstsicherer.
