Simon S. und die Kontrollillusion

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Name und Bild geändert.
Dieses Poster haben wir für Patientinnen und Patienten entwickelt, die …
- ihre Medikamente nicht einnehmen, weil sie glauben, ihre Erkrankung ohne Therapie im Griff zu haben,
- überzeugt sind, durch Lebensstil, Aufmerksamkeit oder „innere Stärke“ ausreichend Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu haben,
- Risikoentscheidungen verzerrt wahrnehmen – ähnlich wie Menschen, die ihre Lottozahlen selbst wählen und deshalb glauben, ihre Gewinnchancen seien höher.
Das Motiv greift genau diesen Denkfehler auf: Inspiriert von der Studie der Psychologin Ellen Langer, die das Phänomen der Kontrollillusion wissenschaftlich beschrieben hat.
Es erinnert Patient:innen daran, dass gefühlte Kontrolle nicht mit tatsächlicher Kontrolle gleichzusetzen ist – und dass medizinische Risiken oft nur durch konsequente Behandlung reduziert werden können.

Der Impuls steht Kliniken, Arztpraxen und Apotheken in verschiedenen Formaten zur Verfügung:
- als Gesprächskarte für die direkte Kommunikation mit Patient:innen,
- als Poster, das im Raum wirkt und Patient:innen still zum Nachdenken anregt,
- in digitaler Form für Bildschirme,
- als Flyer, der dem Rezept beigelegt oder beim Einlösen in der Apotheke mitgegeben werden kann.
Alle Materialien werden individuell auf Ihre Klinik, Praxis oder Apotheke abgestimmt – und tragen so Ihre Handschrift.
Wie Sie unsere Motive gezielt zur Förderung von Adhärenz einsetzen können?
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Der Text unter dem Poster
Im Jahr 1975 führte die amerikanische Psychologin Ellen Langer eine Studie durch, die weltweit Beachtung fand. Das Ergebnis der Studie war, dass Menschen ihre Gewinnchancen beim Lotto höher einschätzen, wenn sie die Zahlen selbst auswählen können. Ellen Langer entdeckte ein Phänomen, das die Entscheidungsforschung als „Kontrollillusion“ bezeichnet. Zahlreiche weitere Studien folgten. Andere Forscher haben z. B. gezeigt, dass Menschen die Wartezeit an einer Ampel leichter ertragen, wenn sie einen Knopf drücken können, auch wenn das keinen Einfluss auf die Schaltung der Ampel hat.
Eine Erklärung für die Kontrollillusion ist, dass sie uns hilft, besser mit der Unsicherheit umzugehen, der wir in der Welt, in der wir leben, nun mal ausgesetzt sind. Sie hat aber auch ihre Tücken – und die sollten Sie kennen. Denn die Kontrollillusion verleitet uns oft dazu, unnötige Risiken einzugehen. So zeigen Studien z. B., dass Broker mit einer erhöhten Kontrollillusion ihre Erfolge auf ihre guten Entscheidungen zurückführen, während sie Misserfolge als Effekt der Rahmenbedingungen interpretieren. Sie gehen größere Risiken ein und korrigieren Fehler oft zu spät.
Bei Patientinnen und Patienten ist die Kontrollillusion beispielsweise im Spiel, wenn sie mit einem Problem zu spät zum Arzt gehen („Unkraut vergeht nicht“) oder wenn sie ihre Arzneimittel zu früh absetzen.
Simon hat mich kontaktiert, ich habe mich mit ihm getroffen.
Simons „Geschichte“
Simon S., 58 Jahre alt, ist selbstständiger Tischlermeister. Eines Morgens verspürte er starke Schmerzen in der Brust, die bis in den linken Arm ausstrahlten. Seine Frau rief den Notarzt. In der Klinik wurde ein akuter Herzinfarkt diagnostiziert – zwei Herzkranzgefäße waren hochgradig verengt. Noch im Herzkatheterlabor wurden ihm zwei medikamentenbeschichtete Stents eingesetzt.
Zur Sekundärprävention begann die Klinik unmittelbar nach der Intervention eine duale Plättchenhemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS) und Prasugrel.
Nach stabiler Erstbehandlung wurde Simon in eine Rehabilitationsklinik verlegt. Dort wurde die Medikation übernommen. Während der Reha erhielt Simon mehrere Aufklärungsgespräche zur Bedeutung der Medikamente, aber er fühlte sich körperlich schon deutlich besser. Der akute Schock war verflogen, der Alltag rückte näher.
Nach drei Wochen Reha übernahm ein niedergelassener Kardiologe die Weiterbetreuung. Er bestätigte den bisherigen Therapieplan und stellte Simon ein neues Rezept für Prasugrel aus.
Doch Simon löste das Rezept nicht ein.
Er sagte im Interview:
„Mir geht’s doch gut. Ich hab gemerkt, wenn ich mich bewege, gesund esse und Stress meide, dann reicht das. Ich will meinen Körper nicht weiter mit Medikamenten belasten.“
Warum das Gefühl, alles im Griff zu haben, manchmal täuscht – und was das mit Ihrer Gesundheit zu tun hat
Viele Menschen, die einen Herzinfarkt überstanden haben, möchten danach alles richtig machen. Sie verändern ihren Lebensstil, ernähren sich besser, bewegen sich mehr, hören mit dem Rauchen auf. Und das ist gut so – das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.
Aber manche denken dann: „Ich fühle mich wieder fit. Ich mache doch alles, was ich kann – brauche ich die Medikamente wirklich noch?“
Vielleicht haben auch Sie diesen Gedanken schon gehabt. Und vielleicht haben Sie – wie Simon – entschieden, das Medikament gar nicht erst zu nehmen oder irgendwann wieder abzusetzen.
Das ist ein verständlicher, aber riskanter Denkfehler. Die Psychologie nennt das: Kontrollillusion.
Man glaubt, eine Situation im Griff zu haben – weil man aktiv ist, bewusst lebt und sich gesund fühlt. Aber: Manche Risiken lassen sich nicht mit Willenskraft oder gesundem Verhalten ausschalten. Gerade beim Herzinfarkt spielen Prozesse im Körper eine Rolle, die man nicht spürt – Entzündungen, Gefäßverengungen, Gerinnung. Und genau hier helfen Medikamente.
Ein gutes Beispiel ist das Lotto:
Wenn wir unsere Zahlen selbst auswählen, fühlen wir uns sicherer – obwohl wir wissen, dass die Gewinnchance gleich bleibt. Dieses Gefühl der Kontrolle ist trügerisch. Und genauso kann es auch bei der Gesundheit sein.
Die Kontrollillusion
Die Kontrollillusion ist ein psychologisches Phänomen: Wir fühlen uns sicher, weil wir aktiv handeln – und glauben deshalb, die Situation vollständig unter Kontrolle zu haben. Dieses Gefühl kann trügen.Ein klassisches Beispiel stammt aus der Forschung: Menschen schätzen ihre Gewinnchance beim Lotto höher ein, wenn sie ihre Zahlen selbst auswählen – obwohl die Wahrscheinlichkeit gleich bleibt. Die scheinbare Kontrolle fühlt sich gut an, ist aber objektiv unbegründet.
Auch in der Medizin kann das passieren: Wer sich nach einer Erkrankung gut fühlt, gesund lebt und aktiv bleibt, glaubt leicht, er könne auf Medikamente verzichten. Doch echte Kontrolle bedeutet nicht, sich gut zu fühlen – sondern fundierte Risiken richtig einzuschätzen und gezielt zu handeln.
Kurz gesagt: Gefühlte Kontrolle ist nicht immer reale Kontrolle. Gute Entscheidungen brauchen beides – Eigeninitiative und medizinische Fakten.

Die Karte ist Teil des Kartensatzes „Entscheidungsprinzipien und Denkfallen, die Sie kennen sollten“. Sie finden den Kartensatz in unserem Online Shop.
Meine Empfehlungen an Simon
Simon hat viel getan, um nach deinem Herzinfarkt wieder auf die Beine zu kommen. Genau deshalb ist es wichtig, jetzt nicht aus einem guten Gefühl heraus eine Entscheidung zu treffen, die ihm langfristig schadet. Hier ein paar Gedanken, die ihm helfen können, gute Entscheidungen zu treffen:
1. Fühlen ist nicht dasselbe wie wissen
Ein gutes Körpergefühl ist wichtig – aber es ersetzt nicht den medizinischen Blick auf das Risiko. Medikamente wirken oft vorbeugend, also bevor man etwas spürt. Verlass dich nicht nur auf dein Gefühl, sondern auch auf gesicherte Erkenntnisse.
2. Täusche dich nicht mit dem Gefühl von Kontrolle
Menschen überschätzen ihre Kontrolle, wenn sie viel selbst tun – ähnlich wie beim Lottoschein, den man selbst auswählt. Doch das Risiko für einen zweiten Infarkt lässt sich nur mit Maßnahmen senken, die auch objektiv wirken – wie das empfohlene Medikament.
3. Stell dir die entscheidenden Fragen
Nicht: „Brauche ich das noch?“
Sondern: „Wie hoch ist mein Risiko mit und ohne Medikament?“
Diese Perspektive hilft, Denkfehler zu vermeiden und langfristig gute Entscheidungen zu treffen.
4. Sprich über deine Zweifel
Unsicherheit ist normal. Sprich mit deiner Ärztin oder deinem Arzt darüber. Eine gute Entscheidung braucht nicht nur Information – sondern manchmal auch ein gemeinsames Nachdenken.
Der Patientenratgeber „Bei Risiken und Nebenwirkungen? Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen“ zeigt anhand von 15 eindrücklichen Fällen, wie medizinische Entscheidungen schiefgehen können – und was man daraus lernen kann. Anhand echter Geschichten, verständlich erklärt und sorgfältig analysiert, erfahren Patientinnen und Patienten, wie sie typische Denkfehler vermeiden, ihre Entscheidungskompetenz stärken und zu besseren, selbstbestimmten Entscheidungen finden können.
Ein Buch, das Mut macht – durch Wissen, Reflexion und die Erfahrungen anderer.
Und nicht nur bei medizinischen Fragen: Die Tipps und Einsichten helfen auch im beruflichen und privaten Alltag, bessere Entscheidungen zu treffen – klarer, überlegter und selbstsicherer.
