Nicht zu Ende gedacht? Denken Sie langsam, wenn Sie es eilig haben.
Ein Motiv der Serie „Starke Impulse für gute Patientenentscheidungen“.
Hätten Sie das Bild nicht zu Ende gedacht, würden Sie in Ihrem Bekanntenkreis vielleicht folgende Geschichte erzählen: Ich habe einen Mann gesehen, der seinen Kopf im Sand abgelegt hat und gerade dabei war, ihn wieder aufzusetzen. Abstrakt betrachtet, ist das Bild nichts anderes als eine Information, die Sie interpretieren. Auf Basis dieser Interpretation fällen Sie ein Urteil und treffen eine Entscheidung. Wenn überhaupt, erzählen Sie Ihren Bekannten eine ganz andere Geschichte über das Bild.
Dieses Bild zu Ende zu denken ist nicht besonders schwer. Aber kennen Sie Geschichten und Entscheidungen aus Ihrem Bekanntenkreis, wo Sie sich fragen, ob sie oder er das wirklich zu Ende gedacht hat? Jeder kennt solche Geschichten! Dieses Poster hängt deshalb in Kliniken und Arztpraxen, weil es leider auch viele derartige Geschichten von Patienten gibt. Wissen Sie, wie viele Patienten pro Jahr mit Komplikationen in eine Klinik eingewiesen werden müssen, weil sie ihr Rezept nicht eingelöst oder das Arzneimittel zu früh wieder abgesetzt haben? Die Geschichten dieser Patienten handeln von den Arzneimitteln, die ihnen ihre Ärzte verschrieben haben und warum sie es für richtig hielten, sie wieder abzusetzen oder gar nicht erst einzunehmen.

Die Entscheidungswissenschaften sagen, wir denken Geschichten auch deshalb nicht zu Ende, weil wir zu schnell denken. Was gute Entscheidungen mit dem „langsamen Denken“ zu tun haben, was das überhaupt ist und wie das geht? Lesen Sie „Simons Geschichte – Simons Entscheidung“.

Anmerkung: Simon wollte sein Foto nicht veröffentlichen, deshalb ist das Bild auf der Karte ein Platzhalter.
Wenn Sie Ihre Entscheidung analysieren lassen wollen, schicken mir gerne gerne eine E-Mail. Ich nehme Kontakt mit Ihnen auf.
Simons Entscheidung
Simon ist 55 Jahre alt und hat einen zu hohen Blutdruck. Sein Arzt hat ihm zwei Arzneimittel verschrieben. Das eine soll seinen Blutdruck senken, das andere soll ihn vor einem Schlaganfall schützen. Simon hat die Entscheidung getroffen, das Arzneimittel, das ihn vor dem Schlaganfall schützen sollte, ohne Rücksprache mit dem Arzt abzusetzen. Er überlebte den Schlaganfall mit viel Glück. Nachdem Simon sich mit seiner neuen Lebenssituation einigermaßen abgefunden hatte, rief er mich an.
Ich habe Simon getroffen. Er erzählte mir, dass ihm das Poster während seines Klinikaufenthaltes und in der Reha nicht mehr aus dem Kopf gegangen sei. Er habe sich immer wieder gefragt, aufgrund welcher „Geschichte“ er die Entscheidung getroffen hat, die Arzneimittel nicht mehr einzunehmen.

Simons Geschichte*
Wenn ich die Beipackzettel der beiden Arzneimittel lese, habe ich kein gutes Gefühl. Mein Arzt sagt, wenn ich die Arzneimittel nicht einnehme, riskiere ich einen Schlaganfall. Mein Großvater hatte einen ähnlich hohen Blutdruck wie ich. Er hat nie ein Arzneimittel dagegen genommen, ist 90 Jahre alt geworden und bei einem Autounfall gestorben. Auch mein Vater hat einen hohen Blutdruck, er ist inzwischen 88 Jahre alt, raucht täglich 20 Zigaretten und nimmt sein Bluthochdruckmittel immer nur ein paar Tage vor seinem nächsten Arzttermin. Daher bin ich davon überzeugt, dass auch mich kein Schlaganfall aus der Bahn wirft. Statt mich den Risiken dieser Medikamente auszusetzen, werde ich mich lieber etwas gesünder ernähren und wieder Sport treiben*.
* Mit dem Begriff „Geschichte“ fasse ich zusammen, wie ein Interviewpartner seine Entscheidung begründet. Warum das für die Analyse der Entscheidung wichtig ist, wie die Geschichte entsteht und wie aus einer Geschicht eine Entscheidung wird, erfahren Sie hier ->.
Schelles Denken, langsames Denken

Sich die Geschichte klar zu machen, die einer möglichen Entscheidung zugrunde liegt, ist ein Akt des „langsamen Denkens“. Die Idee, dass wir in zwei Systemen denken, geht auf die beiden amerikanischen Psychologen Theorien von Keith Stanovich und Richard zurück. Einem weltweiten Publikum bekannt wurde die Theorie durch das Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman, das monatelang Nr. 1 der Bestsellerlisten in vielen Ländern war. Die Theorie des Denkens in zwei Systemen ist inzwischen in den Entscheidungswissenschaften weitgehend etabliert.
Das „schnelle Denken“ ist immer aktiv. Es arbeitet intuitiv, automatisch und entzieht sich unserer willentlichen Steuerung. Laut Kahneman entstehen in System 1 spontan die Eindrücke und Gefühle, die die „Hauptquellen der expliziten Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind“.
System 2 ist das „langsame Denken“. Es muss bewusst aktiviert werden und arbeitet analytisch. System 2 ist jedoch träge und braucht viel Energie. Kahneman spricht vom „faulen“ System 2. Eine der Hauptfunktionen von System 2 besteht laut Kahneman darin, die von System 1 vorgeschlagenen Gedanken und Urteile zu überwachen und zu kontrollieren, bevor sie zu Entscheidungen und Handlungen werden. Aufgrund der Trägheit von System 2 laufen wir meist im Autopiloten von System 1 durch den Alltag.
Um zu erkennen, dass die Geschichte falsch ist, die uns das Bild mit dem Mann, der seinen Kopf aus dem Sand zieht, erzählt, müssen wir System 2 nicht einschalten. Aber wir tun es oft auch nicht bei „Geschichten“, die weniger eindeutig sind. Simons Geschichte ist ein Beispiel dafür. Die Analyse von Simons Entscheidung zeigt, wie aus der Geschichte die Entscheidung wird, die Arzneimittel abzusetzen?
Die Analyse von Simnons Entscheidung.
Die Abbildung rechts zeigt den Prozess, wie ein Gefühl zu einer Entscheidung führt. In Simons Fall war es das Gefühl, das ihn nach dem Lesen des Beipackzettels überkam. Tief in seinem Inneren, wie Simon sagt, habe er die Entscheidung, die beiden Arzneimittel nicht einzunehmen, schnell getroffen. Anders ausgedrückt, System 1 hat auf die Impulse der Beipackzettel reagiert.
Er wollte es sich nur nicht zugestehen. Deshalb besorgte er sich weitere Informationen. Aber Simon tat das, was viele Menschen tun, wenn Emotionen, wie Sorgen und Ängste, im Spiel sind. Er suchte primär nach Informationen, die seine Vorentscheidung bestätigten. In solchen Fällen sprechen die Entscheidungswissenschaften von der „Selbstbestätigungsfalle“.
Über die Rolle von Emotionen im Zusammenspiel zwischen System 1 und System 2 schreibt Daniel Kahneman:
… Doch im Kontext von Einstellungen ist System 2 eher ein Fürsprecher der Emotionen von System 1 als ein Kritiker dieser Emotionen – eher ein Unterstützer als ein Kontrolleur. Seine Suche nach Informationen und Argumenten beschränkt sich überwiegend auf Informationen, die mit bestehenden Überzeugungen in Einklang stehen, und verfolgt nicht die Absicht, diese zu überprüfen.
Das schnelle Denken strebt nach Kohärenz. Das bedeutet, es konstruiert eine Geschichte, die in sich schlüssig ist. Informationen, die die Kohärenz stören, werden schnell ausgeblendet. Die Qualität und Glaubwürdigkeit der Informationen wird nicht überprüft. System 2 „winkt“ die Entscheidung durch.

Wie man das langsame Denken trainieren kann.
Als ich Simon die Grafik unter der Überschrift „Schnelles Denken, langsames Denken“ gezeigt habe, erzählt er mir folgenden Fall: Ein Mann sprach ihn kürzlich auf der Straße an. Er sah ziemlich heruntergekommen aus. Simon wollte schon abwinken und weitergehen, weil er dachte der Mann sei ein Bettler (eine Entscheidung des schnellen Denkens), besann sich aber und hörte dem Mann zu. Der Mann wollte tatsächlich kein Geld, sondern er wollte wissen, wo die nächste U-Bahnstation ist. Simon lebt in einer Großstadt, wo man immer wieder von Menschen angesprochen wird, die um etwas Kleingeld bitten. Würde er in einem Dorf leben, wäre ihm der Gedanke „schon wieder ein Obdachloser, der um Geld bettelt“ nicht so leicht in den Sinn gekommen.
Das langsame Denken beginnt mit dem Wissen darüber, wie unser Denken funktioniert. Das alleine reicht aber nicht. Wenn man das langsame Denken praktizieren will, muss man die Trägheit von System 2 überwinden. Simon hat sich das Poster „Nicht zu Ende gedacht? Denken Sie langsam, wenn Sie es eilige haben“ in sein Büro gehängt. Er sieht das Bild jeden Tag und erreicht damit, dass ihm statt der Gedanke „schon wieder ein Obdachloser …“ der Satz „Denk‘ langsam, wenn Du‘s eilig hast“ in den Sinn kommt. Ganz nebenbei bemerkt: Das langsame Denken gibt uns auch den Rat, Obdachlose als Mensch zu achten, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und sie nicht einfach wie Luft zu behandeln. Auch wenn man ihnen kein Geld geben kann oder will, kann man ihnen zumindest einen freundlichen Blick oder ein lächeln schenken.
Das langsame Denken ist also zunächst einmal eine Haltung. Manchen Menschen ist sie in die Wiege gelegt. Bei komplexeren Fragestellungen reicht das Bewusstsein des langsamen Denkens allerdings nicht aus. Es bedarf einer Technik, die diese Abbildung zeigt.
Zunächst einmal gilt es, festzustellen, dass das Denken in zwei Systemen eine geniale Erfindung der Evolution ist. In den Anfangszeiten des Menschen, war es oft überlebensnotwendig, blitzschnell – ohne das Für und Wider abzuwägen – zu entscheiden.
Auch heute brauchen wir das schnelle Denken. Wir treffen täglich tausende von Entscheidungen, bei den meisten wird uns nicht einmal bewusst, dass wir eine Entscheidung getroffen haben. Es ist unmöglich, jede Entscheidung zu durchdenken. Unsere Intuition baut auf gelernten Erfahrungen auf. Je mehr Erfahrungen wir haben, umso mehr können wir uns auf die Entscheidungen des schnellen Denkens verlassen.
Simon kann sich vermutlich auf seine Intuition verlassen, wenn er ein Haus kaufen will (denn er war lange Immobilienmakler), aber nicht, wenn es um die Anwendung eines Arzneimittels geht. Hier fehlt ihm einfach die Grundlage, die die Intuition braucht. Wenn Sie das Thema „Bauchentscheidung“ näher interessiert, lesen Sie Susannes Geschichte im nächsten Kapitel.
Die Poster „Denk‘ langsam, wenn Du‘s eilig hast“ und „Die vier Schritte des langsamen Denkens“ finden Sie in unserem Online Shop.
