Haben Sie stets Ihr Ziel im Auge.
Ein Poster der Serie „Starke Impulse für gute Patientenentscheidungen“.
Der Text unter dem Motiv:
Der Schriftsteller Mark Twain soll einmal gesagt haben „Nachdem wir unsere Ziele endgültig aus den Augen verloren haben, verdoppelten sich unsere Anstrengungen“. Welches Ziel haben Sie vor Augen? Oder sind es vielleicht sogar mehrere Ziele? Haben Sie Ihre Ziele klar formuliert oder sind sie nur als vage Gedanken in Ihrem Kopf?
Insbesondere bei unseren Gesprächen mit Patientinnen und Patienten, bei denen die Therapie Monate oder gar Jahre dauert, stellen wir immer wieder eine gewisse „Therapiemüdigkeit“ fest. Dieses Phänomen kommt unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass sie nachlässiger mit der Einnahme ihrer Medikamente werden oder die Therapie sogar abbrechen. Die häufigste Ursache dafür ist, dass sie keine konkreten Ziele vor Augen oder ihre Ziele aus den Augen verloren haben. Bei vielen dieser Patienten verdoppeln sich am Ende tatsächlich die Anstrengungen.
Deshalb sprechen Sie Ihre Ärztin / Ihren Arzt an, wenn Sie sich in diesen Zeilen wiederfinden. Sie / er hilft Ihnen bei der Wiederentdeckung Ihrer Ziele. Erleben Sie, wie viel Energie Ihnen klar formulierte Ziele geben können.

Hannah B. war zwar nicht therapiemüde, aber die Auseinandersetzung mit ihren Zielen hat sie zur richtigen Entscheidung geführt.
Anmerkung: Hannah wollte anonym bleiben, deshalb haben wir Name und Foto geändert.
Autor: Peter Jungblut

Wenn Sie Ihre Entscheidung analysieren lassen wollen, schicken mir gerne gerne eine E-Mail. Ich nehme Kontakt mit Ihnen auf.
Hannahs Entscheidung
Hannah B. hat seit mehreren Jahren ein Glaukom. Ihr Arzt hatte ihr Augentropfen verschrieben und ihr gut erklärt, wie die Augentropfen wirken: Hannah hatte einen zu hohen Augeninnendruck Das kann auf Dauer zu einer Schädigung des Sehnervs führen und damit zum Verlust der Sehkraft des Auges. Die Augentropfen senken den Augeninnendruck und schonen dadurch den Sehnerv. Hannah nahm die Augentropfen und hatte damit immer wieder Probleme. Ihre Augen waren ständig geschwollen und juckten. Nach einigen Monaten setzte sie die Augentropfen eigenmächtig ab.
Kürzlich traf Sie eine Freundin, die sie lange nicht gesehen hatte. Sie sprachen auch über das Thema Glaukom. Ihre Freundin war auch betroffen. Im Gegensatz zu Hannah, ging sie aber nach der Diagnose nicht wieder zu ihrem Augenarzt, sondern wendete sich an einen Heilpraktiker. Inzwischen bedauerte sie diese Entscheidung, denn ihre Sehkraft auf dem betroffenen Auge hatte sich dramatisch verschlechtert.
Das nahm Hannah zum Anlass, erneut einen Augenarzt aufzusuchen. Sie lebte inzwischen in einer anderen Stadt. Der Augenarzt besorgte sich von seinem Kollegen die Befunde. Er kam zu dem Ergebnis, dass Hannahs Erkrankung weiter fortgeschritten ist, obwohl Hannah selbst noch keine Beeinträchtigung ihrer Sehkraft spürte. Auch der neue Augenarzt wollte ihr Augentropfen verschreiben. Hannah lehnte kategorisch ab. Zu ihrem Glück kannte ihr Augenarzt den Priming-Effekt.
Mit dieser Idee hat der Arzt Hannah überzeugt
Das „Health Belief Modell“ wird zur Analyse und zur Vorhersage des Verhaltens eines Patienten in Bezug auf seine Gesundheit verwendet. Die Entwicklung dieses Modells geht auf die amerikanischen Psychologen Becker und Rosenstein zurück. Demnach hängt das Verhalten von Patienten von zwei Faktoren ab:
- vom persönlichen Wert, den das Erreichen eines bestimmten Ziels für den Patienten hat und
der von ihm erwarteten Wahrscheinlichkeit, dieses Ziel durch eine bestimmte Handlung zu erreichen.
Hannahs Arzt legte ihr diese Abbildung vor und bat sie, die hier beschriebenen Schritte nachzuvollziehen.

Hannah verstand zunächst die Frage nach ihrem wichtigsten Ziel nicht und fragte, ob der Arzt die Reise nach Alaska meinte, die sie demnächst antreten wolle. Nein, entgegnete der Arzt, es geht um ein langfristiges Ziel, das sie nicht erreichen können, wenn sie Ihre Sehkraft verlieren. Hannah verstand. Sie ist gerade Großmutter geworden. Ihr wichtigstes Ziel war, dazu beizutragen, dass ihr Enkel ein erfülltes Leben führen kann. Nachdem Sie dieses Ziel in das Herz geschrieben hat, fragte ihr Arzt nach weiteren Zielen. Hannah sagte, sie wolle noch mal einen Spanischkurs machen und nach Südamerika fahren, ihr Haus renovieren und sich in einer Laienschauspielergruppe engagieren.
Damit, meinte ihr Arzt, haben Sie 4 wichtige Ziele, für deren Erreichen, sie eine gute Sehkraft brauchen. Wenn Sie nun 10 Punkte auf diese Ziele verteilen sollten, wie viele Punkte geben Sie ihrem wichtigsten Ziel? Da Hannah eine Laserbehandlung oder eine Operation grundsätzlich ablehnte, und auch ihr Arzt derzeit eher davon abriet, war Hannah klar, dass sie ihre Ziele nur mit der Einnahme der Augentropfen erreichen konnte.
Hannahs Arzt machte eine Kopie der Unterlage und legte sie in Hannahs Patientenakte. Das Original gab er Hannah mit nach Hause und bat Sie, in einer Woche wiederzukommen, um die weiteren Schritte zu besprechen.

VisuDEC ist eine Kurzform des Begriffs „Visualisierung of Decisions“. D. h., die Matrix dient dazu, eine Entscheidung zu visualisieren. Sie führt Schritt für Schritt durch den Entscheidungsprozess und hilft dem Entscheider seine Gedanken besser zu strukturieren. Ein wichtiger Aspekt bei dieser Methode ist, dass der Entscheider seine Bewertungen „quantifiziert“. Statt zu sagen, „dieser Aspekt ist mir wichtiger als jener“, wird der Unterschied durch einen numerischen Wert deutlich gemacht. Dadurch wird das Denken präziser und konkreter.
Auch der nächste Besuch bei ihrem Augenarzt lief anders, als Hannah es erwartet hatte. Der Arzt hatte wieder eine Unterlage für das Gespräch mit Hannah vorbereitet. Diesmal handelte es sich um die nachfolgend abgebildete Matrix. Die Frage, die diesmal zu entscheiden war, hatte er bereits eingetragen.
Die Matrix können Sie übrigens auf dieser Seite herunterladen und für die Visualisierung Ihrer eigenen Entscheidungen nutzen. Klicken Sie hier ->

Der Arzt führte Hannah durch ihren Entscheidungsprozess und bat sie, ihre Angaben in die Matrix einzutragen. Im ersten Schritt fragte der Arzt nach Hannahs „Triggern“. Trigger sind Ziele, Wünsche, Präferenzen, also alles, was Einfluss auf die Entscheidung haben soll.
Hannah war wichtig, dass die Tropfen sicher wirken, dass sie die Tropfen besser verträgt, als bei der Therapie, die sie vor einigen Jahren wegen der Nebenwirkungen abgebrochen hat und dass die Tropfen möglichst keine negativen Langzeitfolgen haben. Denn Hannah hatte mal gelesen, dass Augentropfen bei langer Anwendungen die Hornhaut schädigen können. Da sie Arzneimitteln gegenüber eher skeptisch eingestellt ist, war ich auch wichtig, dass die Tropfen möglichst wenig „Chemie“ enthalten, wie sie sich ausdrückte. Hannah trug die Trigger in die Matrix ein.
Nun bat der Arzt Hannah, die Trigger zu gewichten. Denn in der Regel ist einem Entscheider nicht jeder Trigger gleich wichtig. Mit der Gewichtung visualisiert und legt man fest, welchen Einfluss ein Trigger auf die Entscheidung haben soll. Hannah gewichtete ihre Trigger durch die Verteilung von 10 Punkten. Am wichtigsten war ihr eine gute Verträglichkeit. Die Erfahrungen, die sie vor einigen Jahren mit den Augentropfen gemacht hatte, wollte sie sich diesmal unbedingt ersparen.
Der Vorschlag der Optionen war die Sache des Arztes. Er empfahl ihr ein Prostaglandin, weil diese Substanz bei Hannah bereits bei der letzten Therapie sehr gut gewirkt hat. Hannah protestierte und verwies auf ihre schlechten Erfahrungen mit der Substanz. Daraufhin schlug Hannahs Arzt die zweite Option vor, ein Prostaglandin ohne Konservierungsmittel. Denn er war sich ziemlich sicher, dass die Nebenwirkungen, die Hannah damals erlebt hat, durch das Konservierungsmittel verursacht wurden.
Er meinte, er habe gar nicht vorgehabt, ihr das gleiche Produkt noch einmal zu verschreiben, wenngleich die Substanz, das Prostaglandin, für Hannah am besten geeignet ist. Mit dem Ausfüllen der Matrix, wolle er Hannah die Möglichkeit geben, sich den Unterschied zwischen den beiden Medikamenten selbst klar zu machen – nämlich durch die Bewertung der Optionen im nächsten Schritt. Das sei seiner Erfahrung nach der bessere Weg, statt ihr einfach das Prostaglanin ohne Konservierungsmittel zu verschreiben.
Der Arzt half Hannah bei der Bewertung. Die Bewertung erfolgt durch numerische Werte zwischen 0 und 5. Die Zahlen stehen in diesem Beispiel für die Wahrscheinlichkeiten. Der Wert „4“ in der Prostaglandin-Zeile bedeutet z. B., dass der Arzt die Wahrscheinlichkeit, dass das Prostaglandin bei Hannah sicher Wirkt auf 80% einschätzt. Der Wert „1“ drückt aus, dass er die Wahrscheinlichkeit, dass Hannah das Medikament diesmal gut verträgt auf nur 20% einschätzt. Dem gegenüber steht eine Wahrscheinlichkeit von 80% einer guten Verträglichkeit bei dem Prostaglandin ohne Konservierungsmittel.
Wenn alle Felder ausgefüllt sind, kann man berechnen, welche Option den größten Nutzen für Hannah hat. Der Nutzwert drückt aus, wie gut eine Option den gewichteten Triggern entspricht. Um den Wert zu berechnen, multipliziert man die Gewichte mit den Bewertungen und addiert die Zeilen
3,0×4 + 3,5×1 + 2,0×3 + 1,5×3 = 26,0
3,0×4 + 3,5×4 + 2,0×4 + 1,5×4 = 40,0.

Damit war für Hannah klar, dass das Prostaglandin ohne Konservierungsmittel für sie die beste Option ist. Als der Arzt das Rezept ausstellte versprach Hannah, die Tropfen diesmal konsequent einzunehmen und ihm sofort Bescheid zu sagen, wenn sie Probleme bei der Einnahme hat oder tatsächlich Nebenwirkungen verspüren sollte.
Als sie sich verabschiedete meinte Hannah, sie habe es noch nie erlebt, dass sich ein Arzt soviel Zeit für sie genommen und ihr das Gefühl gegeben habe, sie in die Entscheidung mit einzubeziehen. Daraufhin meinte ihr Arzt, dass er die Zeit nur intensiver genutzt habe, als es Hannah vielleicht gewohnt sei. Insgesamt seien es nur ein paar Minuten mehr als üblich gewesen. Aber, so der Arzt, insgesamt spare er damit viel Zeit mehr ein, wenn Hannah von der Therapie überzeugt sei. Die beiden Dokumente, die Hannah ausgefüllt habe, würde er ihr übrigens bei jeder Kontrolluntersuchung vorlegen, damit sie ihr Ziel immer im Auge behalte.
Zusammenfassung
Hannah hat seit Jahren ein Glaukom, das mit Augentropfen behandelt wurde, um den Augeninnendruck zu senken und den Sehnerv zu schützen. Aufgrund starker Nebenwirkungen wie Juckreiz und Schwellungen setzte sie die Tropfen eigenmächtig ab. Der Kontakt mit einer ebenfalls betroffenen Freundin, deren Sehkraft sich durch den Verzicht auf medizinische Behandlung stark verschlechtert hatte, motivierte Hannah, wieder einen Augenarzt aufzusuchen.
Der neue Arzt stellte fest, dass das Glaukom weiter fortgeschritten war, obwohl Hannah noch keine Symptome bemerkte. Da sie die Tropfen weiterhin ablehnte, nutzte der Arzt das „Health Belief Modell“ und den Priming-Effekt, um Hannah zu motivieren. Er half ihr, persönliche Ziele wie das Erleben des Lebens ihres Enkels oder eine Reise nach Südamerika mit der Notwendigkeit guter Sehkraft zu verknüpfen.
In einer Entscheidungs-Matrix definierte Hannah ihre wichtigsten Kriterien für die Medikamentenwahl: gute Verträglichkeit, Wirkungssicherheit, geringe Langzeitfolgen und wenig Chemie. Gemeinsam mit dem Arzt bewertete sie zwei Optionen: das Prostaglandin, dass am Anfang ihrer Erkrankung schon einmal eingenommen hatte und ein andere Prostaglandin, das im Gegensatz zu dem ersten keine Konservierungsmittel enthielt. Die Berechnung des Nutzwerts zeigte klar, dass die konservierungsmittelfreie Variante für Hannah die beste Option ist.
Ergebnis: Hannah entschied sich überzeugt für das neue Medikament und versprach, es regelmäßig zu nehmen und bei Problemen Rückmeldung zu geben.
Ärzte erleben immer wieder, dass Patientinnen und Patienten ein Medikament ablehnen und das mit der Sorge vor Nebenwirkungen begründen. Oftmals hat das, was der Patient sagt überhaupt nichts mit dem Medikament zu tun, das verordnet werden soll. Ein Grund dafür ist der Priming-Effekt. Ein typisches Beispiel: Ein Patient sieht einen Bericht über die Nebenwirkungen eines Medikamentes im Fernsehen. Dabei ging es allerdings um ein ganz anderes Medikament. Der Patient differenziert das allerdings nicht. Er verbindet Medikament mit Gefahr. Der „Reiz“, ein Medikament zu verschreiben, setzt bei dem Patienten eine (falsche) Kaskade von Gedanken in Gang, die zur Ablehnung des Medikamentes oder noch öfter dazu führt, dass der Patient das Rezept gar nicht einlöst, ohne den Arzt zu informieren. Augenärzte z. B. stellen sogar immer wieder fest, dass Glaukom-Patienten ihre Augentropfen immer kurz vor dem nächsten Termin nehmen, damit die Messung des Augeninnendrucks normale Werte anzeigt. Anschließend setzen sie das Medikament wieder ab.
Hannahs Fall war etwas anders gelagert. Ihr Priming basierte auf den konkreten und realen Erfahrungen, die sie mit Augentropfen gemacht hat, die sie vor dem Verlust ihrer Sehkraft schützen sollten. Sie empfand die Nebenwirkungen als so unangenehm, dass sie sogar den Verlust ihrer Sehkraft in Kauf nahm, wenngleich sie davon überzeugt war, dass es nicht dazu kommen würde. Hannahs Augenarzt kannte den Priming-Effekt. Deshalb ging er inn Hannahs Fall so vor, wie hier beschrieben.
