Sandra K. und die Verlustaversion

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden Name und Bild geändert.
Dieses Poster haben wir für Patientinnen und Patienten entwickelt, die …
- dazu neigen, mögliche Risiken und Nebenwirkungen eines Medikaments als bedrohlicher zu empfinden als den potenziellen Nutzen der Behandlung,
- sich unbewusst von der Verlustangst leiten lassen – etwa durch Gedanken wie: „Was, wenn ich Nebenwirkungen bekomme?“ –, ohne gleichzeitig zu bedenken, was sie ohne die Therapie verlieren könnten,
- beim Abwägen von medizinischen Entscheidungen eher auf das schauen, was sie vermeiden wollen, als auf das, was sie gewinnen könnten – und dadurch möglicherweise eine hilfreiche Behandlung ablehnen.
Das Poster spricht Menschen an, die vor der Entscheidung stehen, ein Medikament einzunehmen, und dabei hin- und hergerissen sind.
Es macht sichtbar, wie stark der psychologische Mechanismus der Verlustaversion unsere Wahrnehmung verzerren kann – und ermutigt dazu, Risiken realistisch einzuordnen, statt sie übergroß werden zu lassen. Die Botschaft:
Lassen Sie Risiken nicht größer wirken, als sie tatsächlich sind – und treffen Sie Ihre Entscheidung nicht aus Angst vor dem Verlust, sondern im Wissen um die Chance auf Gesundheit.

Der Impuls steht Kliniken, Arztpraxen und Apotheken in verschiedenen Formaten zur Verfügung:
- als Gesprächskarte für die direkte Kommunikation mit Patient:innen,
- als Poster, das im Raum wirkt und Patient:innen still zum Nachdenken anregt,
- in digitaler Form für Bildschirme,
- als Flyer, der dem Rezept beigelegt oder beim Einlösen in der Apotheke mitgegeben werden kann.
Alle Materialien werden individuell auf Ihre Klinik, Praxis oder Apotheke abgestimmt – und tragen so Ihre Handschrift.
Wie Sie unsere Motive gezielt zur Förderung von Adhärenz einsetzen können?
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Der Text unter dem Poster:
Stellen Sie sich vor, Sie finden zufällig 100 Euro auf einer Parkbank. Wie sehr freuen Sie sich? Wie wäre es aber, wenn Sie 100 Euro aus Ihrer Tasche verlieren würden, statt sie zu finden? Wie sehr würden Sie sich ärgern? Welches Gefühl ist stärker?
Die meisten Menschen empfinden den Verlust einer Summe Geldes als viel schmerzhafter, als sie sich über den Gewinn der gleichen Summe freuen würden. Das nennt man „Verlustaversion“ – ein psychologischer Effekt, der wie kaum ein anderer erforscht und gut belegt ist. Verluste wirken emotional etwa doppelt so stark wie gleich große Gewinne. Warum ist das wichtig? Die Verlustaversion beeinflusst viele Entscheidungen – bei der Geldanlage, im Beruf oder im Alltag.
Die Verlustaversion beeinflusst auch Entscheidungen von Patienten, z. B. beim Abwägen des Nutzens und der Risiken von Arzneimitteln. So empfinden manche Patienten die möglichen Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten als Verlust – zum Beispiel befürchten sie den Verlust von Lebensqualität, Unabhängigkeit oder Sicherheit. Selbst wenn ein Medikament eine große Chance auf Besserung bietet, kann die Angst vor möglichen negativen Folgen stärker wiegen. Risiken sollten berücksichtigt werden, aber nicht größer gemacht werden, als sie tatsächlich sind, deshalb sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zu dem Arzneimittel haben, das Ihnen verordnet wurde. Mehr Informationen über die Verlustaversion finden Sie auf www.die-gute-patientenentscheidung.com. Der QR-Code führt Sie zu der Website.
Sandra hat mich kontaktiert, ich habe mich mit ihr getroffen.
Sandras „Geschichte“
Sandra leidet seit vielen Jahren an Colitis ulcerosa. Das ist eine chronische Entzündung des Dickdarms, die in Schüben verläuft und zu starken Bauchschmerzen, häufigem Durchfall und ständiger Erschöpfung führen kann. Sandra hat schon viele Therapien ausprobiert, aber keine hat ihr wirklich dauerhaft geholfen. Ihre Ärztin empfahl ihr kürzlich ein neues Medikament namens Upadacitinib, das in Studien vielversprechend wirkt. Es könne ihre Beschwerden deutlich lindern und ihr den Alltag spürbar erleichtern. Doch Sandra ist unsicher. In der Packungsbeilage liest sie von möglichen Nebenwirkungen wie Infektionen oder veränderten Leberwerten. Auch wenn ihre Ärztin ihr erklärt, dass diese Risiken selten und gut behandelbar sind, macht sich Sandra große Sorgen. Sie hat Angst, durch das Medikament etwas zu verlieren – zum Beispiel Energie, Sicherheit oder Selbstständigkeit. Deshalb entschied sie sich gegen die Behandlung – aus Angst vor möglichen Nachteilen. Dass sie dadurch auch eine große Chance auf Besserung verpasst, erscheint ihr im Vergleich weniger wichtig.
Sandras Ärztin erkannte den Grund für Sandras Entscheidung: Die Verlustaversion und konnte Sandra von ihrem Therapievorschlag überzeugen.
Die Verlustaversion
Die Entscheidung von Sandra K., das neue Medikament nicht einzunehmen, lässt sich gut durch den psychologischen Effekt der Verlustaversion erklären. Obwohl das Medikament eine große Chance auf Besserung bietet, gewichtet sie mögliche negative Folgen emotional stärker als den potenziellen Nutzen. Die Angst vor einem möglichen Verlust an Lebensqualität (etwa durch Nebenwirkungen) überwiegt – selbst wenn dieser Verlust unwahrscheinlich ist. Damit verhindert die Verlustaversion, dass Sandra eine Entscheidung trifft, die ihre Gesundheit deutlich verbessern könnte.
Die Verlustaversion ist ein zentraler Begriff aus der Kognitions- und Verhaltensforschung. Sie beschreibt die Tatsache, dass Verluste emotional stärker wirken als gleich große Gewinne. Anders gesagt: Der Schmerz, 50 Euro zu verlieren, ist größer als die Freude, 50 Euro zu gewinnen.
Entdeckt wurde dieses Phänomen von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky, im Rahmen der Prospect Theory (1979). Für seine Arbeiten dazu erhielt Kahneman 2002 den Wirtschaftsnobelpreis.
Verlustaversion beeinflusst viele Lebensbereiche:
- In der Finanzwelt bleiben Anleger lieber bei schlechten Aktien, als Verluste „einzubuchen“.
- In Beziehungen klammern sich Menschen oft an ungesunde Bindungen, aus Angst vor dem Alleinsein.
- In der Medizin neigen Patient:innen dazu, eine Therapie abzulehnen – nicht, weil sie keine Wirkung erwarten, sondern weil sie mögliche Nebenwirkungen überbewerten.
Verlustaversion ist kein Fehler – sondern ein tief verwurzelter Schutzmechanismus. Aber gerade bei wichtigen Entscheidungen lohnt es sich, innezuhalten und zu fragen:
Bewerte ich die Risiken realistisch – oder reagiere ich bloß auf den Schmerz des Möglichen Verlusts?

Die Karte ist Teil des Kartensatzes „Entscheidungsprinzipien und Denkfallen, die Sie kennen sollten“. Sie finden den Kartensatz in unserem Online Shop.
So hat Sandras Ärztin Sandra überzeugt
1. Sie benannte den Denkmechanismus offen und wertschätzend
Die Ärztin sprach die Verlustangst direkt an – nicht als Schwäche, sondern als menschliche, psychologisch gut erforschte Reaktion. So konnte Sandra verstehen, dass ihre Sorgen normal sind, aber nicht unbedingt ein guter Ratgeber für medizinische Entscheidungen.
2. Sie half, die Perspektive zu wechseln – vom Verlust zum Gewinn
Statt über mögliche Nebenwirkungen zu sprechen, lenkte die Ärztin den Fokus auf das, was Sandra gewinnen könnte: weniger Schmerzen, mehr Energie, mehr Alltagssicherheit. So wurde der mögliche Nutzen emotional spürbarer als der hypothetische Verlust.
3. Sie stellte die Risiken in einen realistischen Kontext
Die Ärztin erklärte, wie selten die Nebenwirkungen wirklich sind, wie gut sie behandelbar wären – und dass das Risiko, ohne Behandlung weiter zu leiden oder Komplikationen zu entwickeln, möglicherweise höher ist. Damit relativierte sie Sandras Verlustangst sachlich, aber verständlich.
4. Sie machte deutlich: Nicht zu handeln ist auch eine Entscheidung – mit Folgen
Sandra wurde klar: Ihre Angst vor einem Verlust könnte sie am Ende genau das kosten, was sie sich wünscht – Lebensqualität und Selbstbestimmung. Diese Erkenntnis half ihr, aktiv zu entscheiden, statt aus Sorge passiv zu bleiben.
Der Patientenratgeber „Bei Risiken und Nebenwirkungen? Treffen Sie keine voreiligen Entscheidungen“ zeigt anhand von 15 eindrücklichen Fällen, wie medizinische Entscheidungen schiefgehen können – und was man daraus lernen kann. Anhand echter Geschichten, verständlich erklärt und sorgfältig analysiert, erfahren Patientinnen und Patienten, wie sie typische Denkfehler vermeiden, ihre Entscheidungskompetenz stärken und zu besseren, selbstbestimmten Entscheidungen finden können.
Ein Buch, das Mut macht – durch Wissen, Reflexion und die Erfahrungen anderer.
Und nicht nur bei medizinischen Fragen: Die Tipps und Einsichten helfen auch im beruflichen und privaten Alltag, bessere Entscheidungen zu treffen – klarer, überlegter und selbstsicherer.
